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Verschiedene: Wünschelruthe

Fleiß bricht alle Eis.




Die Sagen vom mythischen Virgil.
Von F. W. Val. Schmidt.




Die Verfasser der römischen Kaisergeschichte erzählen mehrere Fälle, wo die Gedichte des Virgil benutzt worden sind, um, in zweifelhaften Lagen, eine übernatürliche Entscheidung zu gewähren. Sie wurden nach Zufall aufgeschlagen, und welcher Vers dem Wahrsager gerade zuerst in das Auge fiel, dieser entschied über Gelingen oder Mißlingen eines Plans, nach der Auslegung des Wahrsagers. Dieses waren die Sortes Vergilianae. Je seltner nun das Lesen der virgilischen Gedichte selbst wurde, je schwieriger das Verständniß derselben aus dem Zusammenhange seiner Zeit, ihrer Verhältnisse und Bestrebungen; je mehr die Lust am seltsamen und unbegreiflichen Ueberhand nahm: um so mehr konnte unter dem italienischen Volk die Meinung Wurzel fassen von einem gewaltigen, kunstreichen, hochbegabten Meister, Virgil, dessen Weisheit und Liebe für das Vaterland niedergelegt sei in heilbringenden Schriften und andern Werken, deren Genuß dem Volk nur entzogen sei durch Neid und Bosheit der übelgesinnten. Nach der Art jener Zeit aber, und vermittelt durch die oben bemerkte Sitte des Wahrsagens aus seinen Versen, war dieser Virgil nun in ihrer Phantasie ausgerüstet mit magischen Kräften, durch seine Verbindung mit höheren Geistern. Dabei war er ein Heide, und, wenn er als Schwarzkünstler in dieser Hinsicht Verzeihung verdiente, so blieb er doch auf immer ausgeschlossen von jener höchsten Seligkeit, zu welcher der Weg nur durch Christus geht. Was aber reine Gesinnung, höchste Einsicht und ungewöhnliche Kraft außer diesem erreichen können, das hat er erreicht. Diese Vorstellung über Virgil stand Dante bei seinem Volke vor, und erst so wird begreiflich, warum er gerade ihn als Leiter durch die verschlungnen Pfade des Sündenthals, als Begleiter und Rath beim mühsamen Hinanklimmen des schroffen Reinigungsfelsen gewählt hat. Daß der wirkliche Virgil zwar als Dichter der Vorgänger des Dante war, mußte diesem dabei in vieler Hinsicht willkommen sein, aber deshalb durfte er jenen noch nicht als Stellvertreter der höchsten Vernunft wählen, vielmehr hätte Aristoteles oder Platon gewiß diese Stelle erhalten, wenn nicht der mythische Virgil des italiänischen Volks als Seele hinter dem mantuanischen Dichter verborgen gedacht werden müßte.

Daß dies keine willkürliche Annahme ist, sondern begründet wird durch die Geschichte der Volkssagen, mögen einige Zeugnisse beweisen.

Gervasius Tilburiensis, welcher 1211 seine Otia Imperialia für Kaiser Otto 4 schrieb, hatte sich längere Zeit in Unteritalien aufgehalten, und berichtet treuherzig was er aus dem Munde der Italiäner über die Wunderwerke des Virgil gehört hatte. S. Leibnitii Scriptores Rerum Brunsvicensium. Hanoverae 1707 T. 1. p. 963 und folg. p. 1001. Mehrere dieser Stellen sind neuerdings abgedruckt in v. Dobeneks, des deutschen Mittelalters Volksglauben I, 188 und folg. (Berlin 1815), und sollen hier nicht wiederholt werden. Diese Wunderwerke sind andre, in Neapel und der dortigen Gegend hervorgebracht, als die von Rom

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_133.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)