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Verschiedene: Wünschelruthe

Wat nich fuurt dat fötet ook nich.




Licht und Leben.







Oft kam die Schwalbe schon vom Süd geflogen,
     Oft schon der Lerche Frühlied mir erklang;
     Die Nachtigall schon oft mir Wehmuth sang,
Wenn licht die Sterne an dem blauen Bogen,

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Vom Westen hin zum goldnen Osten zogen,

     Bis, daß der graue trübe Nebel sprang,
     Und durch das goldne Thor die Sonne drang,
Mild lächelnd ihrer Erde und den Wogen.

     Die Schwalbe kam, und jauchzte heimwärts wieder,

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     Es tönten und verstummten jene Lieder,

     Und Sonn und Sterne zogen auf und nieder. -

     Licht war’s im All, in meiner Brust war’s trübe,
     Doch, daß nicht ewig Nacht im Busen bliebe,
     Entglomm in mir das Licht der ew’gen Liebe.

Christiani.




Briefe über das neue Theater.




(Fortsetzung).

Warum ich Ihnen den Calderon geschickt, will ich Ihnen sagen. Ich wollte daß Ihnen etwas zugemuthet werde; denn das geschieht das ganze Jahr nicht. Sie gehen mit Ihrer Kunst im ewigen Einerlei unter. Sie haben bei dieser Gelegenbeit den Calderon doch gelesen, Sie haben doch gefühlt, daß die Bühne einst etwas konnte, wovon sie keinen Begriff mehr hat. Daß ein Umfang, eine Ueberschwenglichkeit, eine Spiegelspiegelung poetischer Trunkenheit in Ton und Farbe bei unendlich süßer unschuldiger Einfalt, und einer tiefen dunklen Bitterkeit der Schuld, der Leidenschaft, der Sünde im Calderon zauberisch herrscht, haben Sie nothwendig bei Ihrer großen Empfänglichkeit gefühlt, und das ist schon so viel wehrt, als wenn ein junger Neugrieche den Hyperion Hölderlins mit tiefer Rührung ließt, oder wenn der Amant dem lieben schüchternen Distelfink den Auftrag giebt, ihm das hohe Lied Salomonis auf einer Flötenuhr zu setzen, welche er der lieben Psyche schenken will, wann sie die Tochter Jephthas zum erstenmahl spielen wird. O lieber Direktor! wann Sie sich nur erst einmahl recht ärgern, daß es auf der Bühne einst ganz anders war, wenn Sie nur einmahl erst recht darüber ergrimmen, daß die Riesenwerke Shakespears, welche Ihnen für Ihre übergroße und reiche und umständliche Schaubühnerei, noch immer zu reich und umfassend scheinen, daß diese Werke zu völliger Täuschung auf kleinen armen Bühnen mit zwei Culissen Tiefe und einer sehr kleinen Anzahl von Statisten vorgestellt wurden[WS 1], und daß Jünglinge[WS 2] die Ophelia, die Desdemona, die Julie spielten, für welche Sie heutzutage kaum Schauspielerinnen finden zu können hinreichend im Stande sind, die an Zartheit und Empfindung hinreichen. Wenn Sie das erst einmahl fühlten, und auf die Frage kämen, warum getrauen wir uns mit unserm entsetzlichen Apparate von Darstellungsmitteln nicht an solche Werke, ohne sie erst auf die unsinnigste Weise zu verstümmeln, da sie ursprünglich mit den wenigsten Mitteln ausgeführt worden sind, ja, da ihnen sogar ein ganzes Geschlecht fehlte, würde Ihnen dann nicht die Antwort sehr nahe liegen, indem wir uns ganz und gar in das durchaus überflüssige, ja häufig schädliche verlohren haben, ist uns das einzige, womit man darstellt ganz aus den Augen gekommen, der begeisterte talentvolle Schauspieler. Ihr habt die Umstände, die Sachen, euch über den Kopf wachsen lassen! O

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: würden. Siehe Druckfehler S. 124.
  2. Vorlage:Jünlinge
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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_101.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)