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Verschiedene: Wünschelruthe

Einem Weg hinsieht, so, daß ich sie nicht gewahre. Wie ich nun so sehe.“

„Guter Freund, ich mag euch an der Nacht keinen Abbruch thun, denn eure Erzählung wird wohl eine lange Elle seyn, und ihr ein ehrlicher Kaufmann, der immer noch etwas zuzugeben scheint, deßhalb mag euch mein Prosit zu Gute kommen!“ und somit paßte der Rekrut hinter dem Ofen sein nebenstehendes Licht aus, und drückte sich tiefer in seine Ecke. Da aber Wilhelm dieß vor den Kopf lief, und ein alter Jäger das Licht, das ihm zur Hand war, schweigend wieder anzündet, der Oberjäger aber, der sich bei jeder Gelegenheit des Rekruten annahm, dasselbe auf den runden von den andern Jägern umsetzten Tisch hinstellt; so wäre der alte Jäger in seinem Unwillen auf der Stelle fortgegangen, und Wilhelm würde zu erzählen aufgehört haben, wenn er nicht selbst die Geschichte, da er sie einmal angefangen, gern zu Ende gebracht, und jener sie eben so gern gehört hätte, weil er dachte, es müsse etwas der Mühe werthes dahinter stecken, da die Einleitung in gute Quartiere etwas Gutes zu erzählen verlangt.

„Nun, so bedenkend“, fuhr Wilhelm fort, der die Mütze auf dem Kopfe herumdrehte, „daß da mein Obdach mit Eltern und Geschwistern liegt, stand mir das Auge voll Wasser, und ich hätte geweint, wäre nicht das Mädchen mit bloßen mitleidigen Händen mir in die Augen gekommen, um die Thränen daraus zu trocknen. Und ich lege den Arm um ihren schlanken Leib und drücke sie, weil mir das Herz vor Liebe weh thut, an mich, nehme sie vor mich auf den Schooß und küsse mein Annchen, daß es dem Mädchen hell wird vor dem Gesicht wie an einem Sommertage. Da es nun spät wurde, und in der Länge der Zeit das Herz ins Gedränge kam, fällt mir es wahrhaftig noch schwer ein, daß mich das Ding bezwungen; und ruhig von dem Schooße auf die Erde stell’ ich das Mädchen, und sage: „nun Annchen, es ist genug“, und setze hinzu, da ihre Mutter krank war: „Geh hinauf zu deiner Mutter, die jammert nach dir.“ Da fällt mir weinend das Mädchen um den Hals und läuft schluchzend um mich herum, als sollte die ganze Welt wissen wie sie’s meint, daß es mir schwindlig wird, als habe mich das Mädchen mit herumgedreht, und ich dumm dastehe, wer weiß wie. Als ich nun hinauf zu Tische gehe, sitzt das Mädchen, das Köpfchen in die Hände genommen, und hält das Gesicht zu, wie ein heißes Gericht, schämrig und still, daß der alte Förster meint, sie sey über dem Essen eingeschlafen. Merkend, daß ich verlegen werde, drücke ich mir in der Hand den Regimentswestenknopf schief, sage auch: „das Kindchen ist müde“, und sehe ihr dabei ins wachthabende Auge, daß ich im Scheine des Verraths über und über roth stehe. Rein von dem Mädchen abzustehen, nahm ich mir ohne weiteres vor, und ich wahrte mich seitdem, wenn Anna mich wahrnahm, denn sie focht mit scheuem Blicke um mich herum, und ich mußte mich winden und drehen zu überwinden, daß sie keinen Vortheil genösse. That sie mir einen Gefallen im Essen und Trinken, so nahm ich mein Glas, das Gesicht durchs Fenster dem Walde zugekehrt: „Gesundheit“, rief ich, „Jungfer Annchen!“ und dann: wer da? Parole! piff paff! und Sicherheit war wieder hergestellt. Oder sang sie ein Liedchen, von dem Lerche und Finke hätten lernen müssen, so ließ ich die Augen zufallen, und gab Schlummer und Müdigkeit vor. – Aber als wir marschieren mußten, und das Mädchen in der Ecke saß, weinend über den Tod ihrer Mutter, die eben gestorben, jammerte michs und ich dachte: „ists zuletzt doch Eins“, nahm das Mädchen um aller Heiligen willen in den Arm und kurz darauf Abschied. Somit ging ich leicht auf freien Füßen meiner Wege, und mochte dem Waldhornisten die Lunge bersten, ich fragte nichts nach Blasen und dachte nicht daran, daß mancher durch Blasen oben schwimmt, der sonst versänke.“ Und so die Geschichte schließend, trank und setzte sich Wilhelm im Sorgestuhl zurecht, um aufzuhorchen, was die Kameraden dazu dächten. Diesen aber war die Entwickelung der Geschichte höchst trocken vorgekommen, weßhalb sie mit einstimmten, daß er einen Trunk nöthig gehabt.

Allenthalben steckt sich der Jäger seine Lust auf, wie Bäume die grünen Büsche: ist das Glück windstille und weht nicht, wie er will, in die über die kahlen Ribben des Lebens ausgespannten grünen Segel der Blätter, dann pfeift er irgend einen Vogel herbei, der das Schiffchen bewege, daß es zusammenrauscht wie helle Wellen. „Welcher Großpapa“, fing der Jägerrekrut an, sich am Tische aufziehend, um auf dem Stuhle gerade Wilhelm gegenüber zu sitzen, „welcher Großpapa hat dir deinen langweiligen Grundsatz wie eine Perücke aufgesetzt, an der deine Jahre wie Locken von mühseligem Schweiß zerflossen dir als Hagelwetter auf die Brust fallen, daß du die schönsten Geschichten mit Husten unterbrichst? Ein ander Städtchen, ein ander Mädchen! ist das Wahrzeichen unseres Waidwerks, nach dem jeder Jäger fragt, wie der Handwerksbursch nach dem großen Faß zu Heidelberg. Wär ich nur das Mädchen und du das Städtchen, es müßte in dich wahrhaftig kein Gedanke kommen, der nicht nach mir fragte. Wer es mit dieser Welt hält, scheue sich nicht, und mag vor ihrem Stammvater nichts voraus haben, wenn ihm auch ein Mädchen das Wild aufjagt und er sich ihretwillen verschossen hat. Mit der Liebe ist es dem flüchtigen Jäger im Herzen, wie mit der Kugel im Feuerrohr; mag es schwanken wohin es will, er trägt das Ziel in ihr herum. Warum heißts die alte Welt und der junge Mensch? Ich

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_007.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)