Seite:Von Leuten, die im Gefängnis reich geworden sind.pdf/5

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Von Leuten, die im Gefängnis reich geworden sind. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 9, S. 233–236

zwei Jahre später seine Strafzeit um war, kehrte er als reicher Mann in die Freiheit zurück.

Schließlich sei hier noch der Erfindung eines Mannes mit Namen Viktor Orlille gedacht, der in Sydney in Australien wegen eines Mordes zu lebenslänglichem Kerker verurteilt worden war. Orlille, ein äußerst gewalttätiger Mensch, zeigte sich stets widersetzlich und mußte daher oft ganze Wochen im Dunkelarrest zubringen. In der stockfinsteren Zelle nun ersann er, um die furchtbare Langweile zu vertreiben, ein Geduldspiel, das aus verschieden geformten Täfelchen bestand, die zu bestimmten Figuren zusammengesetzt werden sollten. Das Material zu diesen Täfelchen lieferte ihm die Kalkschicht der Zellenwände, die infolge der Feuchtigkeit abblätterte. Mit unendlicher Geduld formte Orlille, in der Finsternis nur auf den Tastsinn seiner Finger angewiesen, daraus die verschiedenartigen Täfelchen. Als er dann mit den Jahren ruhiger geworden war und sich in sein Schicksal ergeben hatte, wurde er in der Tischlerwerkstätte des Gefängnisses beschäftigt. Hier, wo ihm ein leichter zu bearbeitendes Material und gute Werkzeuge zur Verfügung standen, vervollkommnete er sein Geduldspiel so, daß er damit das Interesse des Gefängnisgeistlichen zu erregen wußte. Durch Vermittlung dieses Geistlichen wurde die Erfindung des Sträflings an eine Kinderspielwarenfabrik in Sydney verkauft, die dann die Geduldspiele in großen Massen fabrizierte und in alle Welt verschickte. Jedenfalls steht fest, daß das Geduldspiel Viktor Orlilles das erste war, welches Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in Europa auftauchte. Orlille ist im Jahre 1903 begnadigt worden. Auch er verließ das Gefängnis als vermögender Mann, da die Kaufsumme für seine Erfindung sich durch die inzwischen angelaufenen Zinsen mehr als verdoppelt hatte.

W. K.
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Von Leuten, die im Gefängnis reich geworden sind. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 9, S. 233–236. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1911, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Von_Leuten,_die_im_Gef%C3%A4ngnis_reich_geworden_sind.pdf/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)