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Herren gruppiert, er wird gefürchtet, aber auch bedient. Aber in Kurdistan sind die Leute stolzer und empfindlicher, so daß man sich auf seine Stimme beschränken muß und so gut es geht, fertig zu werden versucht. Mit der Zeit kommt der Reisende dahin, die Vorbereitungen rasch zu treffen; aber die Thätigkeit ist immerhin aufregend. Gewöhnlich standen wir des Morgens um 4½ Uhr, spätestens um fünf Uhr auf. Verzögerungen von einer Seite, schlechte Verpackungen von der andern bewirkten, daß wir erst gegen 7½ Uhr aufbrechen konnten, was öfters geschah.

Der Vorsteher des Zollamtes in Dschulfa hatte uns zu unserm Schutze vor Räubern zwei Zabtiehs mitgegeben. Keiner dieser tapferen Männer hatte ein brauchbares Gewehr; an dem einen fehlte der Hahn und an dem andern die Abzugsstange.[1]

Abreise 7 Uhr des Morgens.

Nachdem wir drei Stunden durch eine Ebene gewandelt waren, einem ausgetrockneten Strombette in der Mitte eines Kreises von Bergen, die von den Strahlen der Morgensonne herrlich beleuchtet waren, gelangten wir an den Anfang einer Felsschlucht, wo armselige Menschen, in Wirklichkeit wilde, ihr Lager aufgeschlagen hatten. Ihre Kinder waren ganz nackt; die Frauen, deren Aussehen sehr herabgekommen ist, boten uns geronnene Milch, die mit Wasser verdünnt war, im ganzen ein angenehmes Getränk.

Der vulkanische Engpaß, nackt, holperig, schlängelt sich zwischen tausend kleinen verwitterten Hügeln hin. Bei jeder Biegung des Weges glaubten die tapferen Zabtiehs Räuber zu sehen und wollten nicht eher anhalten, als bis wir auf offenem Felde waren. wir waren also gezwungen, ohne Rast bis zu dem Gipfel zu steigen, wo wir bei einer Lache salzhaltigen Wassers Halt machten. Glücklicherweise hatten wir einen Schlauch Trinkwasser bei uns. Nirgendwo war ein Plätzchen zu entdecken, wo wir in etwa vor den glühenden Sonnenstrahlen geschützt waren. Dieser Umstand, so lästig er auch war, hatte indes das Gute für uns, daß der Aufenthalt nicht lange dauerte. Nach einer halben Stunde waren die Tscherwadare es müde, sich noch länger braten zu lassen, und gaben selbst das Zeichen zum Aufbruch.

Der Haupt-Tscherwadar hatte vor zwei Tagen die Rolle eines „Martyrers“ gespielt. Sein blasses, verschrumpftes Gesicht, seine geschwollenen Lippen gaben von seinem Eifer Zeugnis. Den arg mißhandelten Schädel hatte er mit einem Tuche umwickelt. Wiewohl er vor Fieber zitterte, hielt er sich doch noch aufrecht und marschierte stets. Zur Erleichterung hatte er sich den Luxus gegönnt, seinen Esel mit sich zu nehmen, der ihm zeitweise zum Reiten diente. Von der Höhe senkt sich der Weg in das Thal des Kisil-Tschai hinab; das Gefälle ist nicht bedeutend, denn dort beginnt schon das System der Hochebenen, die Persien charakterisieren.

Der ganze Anblick dieser Gegend war für uns etwas Neues; vier Stunden lang durchwanderten wir eine unbeschreibliche Ebene, die nach Westen von den Bergen der asiatischen Türkei begrenzt wird. In der Ferne bildeten Windhosen oder Staubhosen, die durch den Wind in die Höhe gehoben werden, auffallende, senkrechte

  1. Der persische Zabtieh ist eine Art Gendarm von sehr erbärmlichem Aussehen. Seine Hauptsache ist, den stets rückständigen Sold durch Trinkgelder zu ersetzen, wobei er, wenn es ihm nicht gefährlich scheint, sogar Erpressungen nicht meidet.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/99&oldid=- (Version vom 1.8.2018)