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Ich habe keine polnischen Priester kennen gelernt; deshalb kann ich auch keine Antwort auf die gegen sie erhobenen Beschuldigungen geben. Was die georgischen Priester betrifft, die ich in Tiflis gesehen habe, so kann ich allerdings versichern, daß sie sehr friedliebende Männer sind, und daß, wenn irgendwie Schwierigkeiten entstehen, diese nicht durch die georgischen Priester hervorgerufen werden, sondern durch den Regierungs-Despotismus und die Quälereien seitens der Beamten. Welche Gefahr könnte übrigens dem mächtigen Zaren durch die kleine georgische Kirche entstehen? Sollte es politisch nicht klüger sein, im Notfalle diesen alten gottesdienstlichen oder kirchlichen Einrichtungen, die doch keine Gefahr für den Zaren bilden, gegenüber einmal ein Auge zuzudrücken?

Wenn die Regierung wirklich die loyale Gesinnung besitzt, wie sie versichert, dann muß man auch zugeben, daß die religiösen Fragen das einzige Terrain abgeben, wo die russischen Beamten nach ihrem eigenen Ermessen handeln können, wobei sie, von dem intoleranten russischen Geiste unterstützt, sich leider nur zu oft zu allerlei Schikanen und auch zu Grausamkeiten hinreißen lassen.

Was die schismatischen Kirchen der Georgier und Armenier betrifft, so will Rußland dieselben mit seiner großen Nationalkirche vereinigen. Die Regierung findet es nämlich sehr praktisch, zu ihren Diensten eine hierarchisch eingeteilte Kirche zu haben, die leider nur allzu servil ist.

Gegenwärtig ist die russische Kirche nur eine ungeheure Macht in der Hand des Zaren. Die Heilige Synode ist freilich dem Namen nach die höchste kirchliche Autorität; aber die Heilige Synode ist nur ein Spielball des Zaren; denn auf ihre Zusammensetzung übt er den größten Einfluß aus, ihrer Sitzung wohnt ein Kommissar des Zaren (ein Laie!) bei, der sogar das Recht hat, die Beschlüsse der Synode aufzuheben, kurz, durch den ganzen Nimbus seiner Allgewalt macht der Zar aus der Heiligen Synode, was ihm beliebt.

Zuweilen aber setzt die Synode dem Wunsche des Zaren Weigerungen entgegen. Dies geschieht bei gewissen Heiraten der Prinzen. Mit diesen Weigerungen ist es dann aber auch nicht so schlimm bestellt. Der Zar weigert sich, und die Synode giebt nur den Namen dazu her. Wenn es aber vorkommen sollte, daß ein energischer und gewissenhafter Mann wirklich einen ernsthaften Einwand erhebt, so kann er sicher sein, daß er die längste Zeit Mitglied der Heiligen Synode gewesen ist. In einigen nebensächlichen Fragen läßt man freilich der Synode einen Schein der Freiheit, um sie in den Augen des Volkes nicht ganz in Verruf zu bringen.[1]

Die russische Kirche unterhält in dem Volke eine Verehrung des Zaren, wovon wir uns keine Vorstellung machen können; dieser Kultus ist die höchste Macht der kaiserlichen Regierung.

  1. Die Synode ist eine Schöpfung Peters des Großen, der nach dem Tode des Patriarchen Kadrian (1702) den höchsten Grad der russischen Hierarchie für sich in Anspruch nahm und ihn dem Namen nach durch die Heilige Synode ersetzte und auf diese Weise den Cäsaropapismus begründete. Eine genau unterrichtete Person teilte uns mit, daß die Bischöfe der Reihenfolge nach Mitglieder der Synode werden sollen; doch kann der Zar auch Aufnahmen machen, er kann sich seine Leute wählen, wie er sie nötig hat. Alle Fragen der Disziplin werden durch den Zaren selbst entschieden, während die Synode sich nur mit dogmatischen Fragen zu beschäftigen hat, und wie? Eine andere Persönlichkeit bezeichnete die russischen Geistlichen als „Gehilfen der Polizei.“
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/95&oldid=- (Version vom 1.8.2018)