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Alle geistige Kraft ist erforderlich, um eine solche Maschine in Bewegung zu setzen. Die Thätigkeit der Bureaux ist im Kaukasus so ziemlich dieselbe wie an den Ufern der Newa.

Wenn schon die Bureaukratie in einem zivilisierten Lande als ein lästiger Hemmschuh in der Entwickelung empfunden wird, so muß dies um so mehr in einem unkultivierten Lande der Fall sein, wo sie den Fortschritt gänzlich unmöglich macht.

Der russische Beamte hat nicht wie der englische ein großes Feld, das seiner eigenen Anregung anheimgegeben ist, sondern er ist stets an ein bestimmtes Programm gebunden. Irgend eine Veränderung (und wenn es auch eine Verbesserung wäre) vorzuschlagen, wird kein russischer Beamte wagen, denn das hieße doch an der Unfehlbarkeit des Systems zweifeln, den Faden der Verwaltung abreißen und – last not least – sich eine böse Note zuziehen. Daher verliert der Beamte auch schließlich jedes Interesse und läßt nach, sich mit Problemen zu beschäftigen, deren Lösung ihm gar nicht zusteht, sondern verrichtet mechanisch seine gewohnte Arbeit, für die er schließlich nicht verantwortlich gemacht werden kann.

Auf diese Weise geht auch die Lust verloren, zu irgend einem Werke die Initiative zu ergreifen, die in einem halbzivilisirten Lande aber durchaus nicht unterschätzt werden darf.

Da nun einmal das System der direkten Annexionen in Rußland gut geheißen ist, so ist daran nicht leicht etwas zu ändern; auch ist die bureaukratische Maschine vielleicht noch das weniger schlechte Mittel der Regierung, das dem Zaren zur Verfügung steht.

Es ist bereits erwähnt worden, welch außerordentliche Verwaltungselemente England in Indien besitzt. Dazu kommt freilich für England noch der Vorteil, den es in der unvergleichlichen Überlegenheit der Europäer über den Hindu besitzt. Der Engländer verliert den Gedanken an diese Überlegenheit keinen Augenblick aus dem Gesichte und steigt niemals von seinem erhabenen Standpunkte herab. Dadurch ist es so weit gekommen, daß er von dem Hindu als Mitglied einer höherstehenden Kaste betrachtet wird, der die übrigen gehorchen müssen.

Diese Verwaltungsbeamten und dieser Vorteil fehlen indes gänzlich bei den Russen. Der russische Pöbel entbehrt zunächst der sozialen Erziehung, mehr noch als des Unterrichts. Bis heran ist er stets geführt worden. Aus ihm ist noch nie eine Gesellschaft hervorgegangen, die an ein freies Entscheiden in allgemeinen Anliegen gewöhnt wäre. Daher ist das russische Volk auch jetzt nicht imstande, eine genügende Anzahl Männer zu liefern, die einen großen persönlichen Einfluß auf andere Menschen auszuüben vermögen.

Was die besseren Kreise betrifft, so hat neben merkbaren Ausnahmen der Wechsel zwischen der Feudalbarbarei und einer feinen Zivilisation doch leider zu oft den oberflächlichen Elementen derselben genützt.

In Wirklichkeit kann Rußland unter seinen Zivilbeamten die ihm nötigen Menschen nicht finden, um ein kleines Land zu verwalten, wenn es jedem einen großen Teil der Verantwortung selbst überlassen wollte.

Übrigens sind die Bewohner des Kaukasus den Russen sehr ähnlich; nur ihr sozialer Zustand ist noch ein wenig tiefer als der der Russen. Die Mehrzahl

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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/88&oldid=- (Version vom 1.8.2018)