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des mohammedanischen Fanatismus, das man in manchen Gegenden, wo der Islam herrscht, bemerkt, oder gehören diese blutigen Gebräuche bloß jener Gegend an? Diese Frage konnten wir nicht entscheiden.[1]

Wir verließen Nakhitschewan gegen Mittag und legten die fünfundvierzig Werste, die uns von Dschulfa trennten, rasch zurück.

Auf dieser langen Strecke giebt es nur ein einziges Posthaus, nämlich in Alendschitschaï. Dort hielt es uns schwer, Pferde zu bekommen, weil die Nähe der Grenze zugleich die Besuche von Räuberbanden befürchten läßt.

Hinter Alendschitschaï hält sich die Straße im Sommer in wilden Felsschluchten und bedient sich zuweilen des ausgetrockneten Bettes eines Bergstromes.

Bei unserer Ankunft an der russischen Grenze an dem Ufer des Aras, zeigten die russischen Beamten den größten Eifer, uns möglichst schleunigst auf das persische Gebiet überzusetzen. Nach der hergebrachten Gewohnheit konnten uns unsere Flinten noch Unannehmlichkeiten bereiten. Zunächst ist es verboten, solche Waffen in Rußland einzuführen; aber noch strenger ist es untersagt, solche ohne spezielle Erlaubnis von Rußland nach Persien auszuführen, woran man leicht erkennen kann, wie sehr der Zar den Schah überwacht.

Da uns die Beamten ohne die erforderlichen Erlaubnisscheine sahen, wurden sie sehr mißtrauisch; nach längerer Beratung sahen sie ein, daß sie nicht so ohne weiteres die Flinten der Reisenden, die nach Kurdistan wollten, mit Beschlag belegen konnten; zugleich aber war der Befehl der Ausweisung unserer so gefährlichen Persönlichkeiten so dringend, daß es den Beamten besser schien, wenn sie uns nur über die Grenze schafften mit unseren Flinten und unserem Gepäck, anstatt sich von Tiflis neue Instruktion zu erbitten.

Die übertriebene Liebenswürdigkeit der Polizei gegen Herrn Üverna hatte uns den Eintritt in das Land mit unseren Flinten ohne Erlaubnisschein gestattet; das übertriebene Mißtrauen gegen Gyvernat verschaffte uns die Erlaubnis, das Land wieder ohne den erforderlichen Erlaubnisschein für die Waffen zu verlassen. Lebe wohl, Rußland, schönes Land der Freiheit!

Wie schon erwähnt, bildet der Aras die Grenze zwischen Rußland und Persien. Der Fluß hat einen raschen Lauf, sein Wasser ist sehr trübe. Eine Fähre verbindet das russische Ufer mit dem persischen, da der Fluß hier nicht zu durchwaten ist. Etwas weiter stromaufwärts zwischen den Posten von Dschulfa und Eski-Dschulfa findet sich auch eine Fähre. Die Fähre geht indes nur über den Hauptarm des Flusses. Man hat dann noch eine sumpfige, zuweilen auch überschwemmte Strecke von ungefähr hundert Metern zurückzulegen, was entweder auf dem Rücken armseliger Pferde oder auf dem eines Mannes geschieht.

Eski-Dschulfa, das fünf Werste nordwestlich von dem russischen Grenzposten liegt, wurde durch Schah Abbas zerstört; die Ruinen sollen sehr interessant sein. Die Brücke von Eski-Dschulfa war sehr schön; sie verdankte ihre Erbauung den Römern, die ihre Eroberungszüge bis hierher ausdehnten. Es war dies in den ersten Jahren des Kaisertums, wo sich alles um Rom drehte und unbegrenzte Eroberungen in Aussicht standen. Deshalb sang auch Virgil (70–19 v. Chr.):

  1. Die armenischen Greuel von 1895 sprechen für die erste Annahme (D. Übers.).
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/78&oldid=- (Version vom 1.8.2018)