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17. September

Diesen Morgen kündigte uns der Kutscher sofort eine freudige Nachricht an: Die Achse unseres Wagens war gebrochen. Diesem Umstand hatten wir es denn auch zu verdanken, daß wir der großen Prozession des Beïram-Ali beiwohnen konnten. Günstiger hätte das Unglück uns also nicht treffen können.

Ehe wir die Prozession näher beschreiben, sollen kurz die geschichtlichen Ereignisse erwähnt werden, die durch die Prozession in das Gedächtnis zurückgerufen werden sollen.

Der Zweck des Festes besteht darin, das Martyrium der am meisten von der weit verbreiteten Sekte der Schiiten verehrten zwei Männer zu feiern: Hassan und Hussein.

Nach dem Tode Mohammeds hatten Abu-Bekr, Omar und Othman nacheinander sich des Khalifats bemächtigt. Sie verdrängten so Ali-Ben-Abu-Taleb.

Dieser, ein Neffe des Propheten, hatte dessen Tochter Fatma, das einzige Kind Mohammeds geheiratet und schien als dessen Schwiegersohn auch zu seinem Nachfolger bestimmt zu sein. Jedoch gelangte er erst zum Khalifat nach dem grausamen Tode Othmans im Jahre 656. Er war einer der treuesten und mutigsten Begleiter des Propheten und erfreute sich großer Beliebtheit bei dem Volke.

Zunächst hatte er die Empörung Muhawias, des Gouverneurs von Syrien, niederzudrücken, der seine Unabhängigkeit erklärt hatte. Drei Koraïschiten beschlossen, den schrecklichen Krieg dadurch zu beendigen, daß sie die beiden Nebenbuhler töteten. Ali wurde 661 in Kufa ermordet und sein Sohn Hassan folgte ihm. Aber Muhawia wurde nur verwundet und setzte seine Rolle als Nebenbuhler Hassans fort. Nach dem Tode Muhawias nahm sein Nachfolger Yesid den Kampf gegen Hassan auf und suchte sich durch Verrat seines Feindes zu entledigen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es ihm endlich, Hassan in seinem eigenen Palaste zu Medina vergiften zu lassen. Da die Kinder Hassans noch zu jung waren, um die Regierung führen zu können, folgte ihm sein jüngerer Bruder Hussein.

Hussein wollte sich den Besitz Kufas, das damals die bedeutendste Stadt des Islams war, sichern und schickte seinen Bruderssohn Moslim dorthin. Aber die bedeutende Macht Jesids schüchterte die Bewohner Kufas ein: Moslim wurde verraten und ermordet. Er hatte seine beiden Kinder, im Alter von sechs und sieben Jahren, bei sich im Felde gehabt; auch diese wurden niedergemetzelt und ihre Köpfe im Triumph gegen das feindliche Lager getragen.

Als Hussein diese Botschaft empfing, brach er selbst gegen die Stadt auf. Yesid schickte ihm dreißigtausend (?) Mann zu einem Treffen am Ufer des Euphrat entgegen; Hufsein verfügte nur über zweiundsiebzig (?) Mann, als er sich der feindlichen Übermacht gegenüber sah. Obgleich der Ausgang des Kampfes für ihn keinen Augenblick zweifelhaft sein konnte, verschanzte er sich mit seinen paar Mann und hielt den feindlichen Angriff zwei Tage lang aus.

Am Ende des zweiten Tages waren seine Gefährten beinahe alle gefallen; er selbst war von Wunden durchlöchert. Geschwächt durch den großen Blutverlust fiel er vom Pferde.

Sofort schickte sein Feind eine Zahl Soldaten, um Hussein den Kopf abzuschneiden; aber keiner wollte sich zu diesem Sakrilegium hergeben. Selbst die entschlossensten unter ihnen flohen, sobald sie ihm in das Gesicht sahen.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/73&oldid=- (Version vom 1.8.2018)