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Eine noch so leichte Arbeit wird ihm lästig, wenn er sie längere Zeit fortsetzen soll. Lieber thut er eine Zeit lang nichts und läßt alles drunter und drüber gehen; wenn er hernach auch um so anstrengender arbeiten muß, so thut er dies eher, als daß er sich fortgesetzt mit leichten Arbeiten beschäftigt.

Hinter Eriwan durchschritten wir eine mit Kieselsteinen bedeckte Ebene, der die bewässerte Gegend folgte, wo dann auch ganz natürlich – bis zum Posthause von Kamerlü – die Dörfer fast aneinander liegen. (Einige Werste südlich von Kamerlü findet sich das Kloster Chor-Wirab auf den Ruinen des alten Artarata; aber da Rußland in Gefahr war, konnten wir nicht daran denken, uns daselbst etwas aufzuhalten). Das außerordentlich schlammige Wasser liefert neben der Feuchtigkeit auch noch Dünger. Die Hitze war groß. Zahlreiche Reihen von Kamelen, die durch ihren schwerfälligen Marsch dicke Staubwolken aufwirbeln, erhöhten die „Annehmlichkeit“ der Reise bedeutend. Von Kamerlü bis Sadarak, wo wir die Nacht über blieben, ist das ganze Land fast eine Wüste, eine Steppe ohne Kultur, mit krüppelhaften Bäumen bedeckt, unter denen der Kapernstrauch sehr zahlreich vorkommt.

16. September.

Der alte Schalikoff hatte uns einen ausgezeichneten Weg vorgeschrieben. Dieser Weg ist nur eine Fährte durch die Steppe, je nach der Jahreszeit entweder ein Meer von Morast oder Staub.

Ungefähr zehn bis 12 Werste von Sadarak öffnet sich das Thal des Arpatschai (nicht mit dem von Alexandrapol zu verwechseln). Genügendes Wasser und ein Abhang, der für die Bewässerung besonders günstig ist, haben eine Oase von nahegelegenen Dörfern hier geschaffen.

Die Entfernung zwischen dem Posthause von Nuraschen-Syphla und Tatschark beträgt im Sommer bloß drei Werste, da man den Arpa-tschai an einer seichten Stelle überschreiten kann. Während der Regenzeit aber muß man eine höher gelegene Furt benutzen, die bei Tamsalü liegt.

In Tatschark hatten wir drei Stunden Aufenthalt. Nathanael wollte diese Zeit benützen und in dem eine halbe Stunde entfernten kleinen Dorfe Snagut den Taufschein eines dort geborenen Lazaristen holen. Wir begleiteten ihn dorthin. Snagut ist ein kleines, chaldäisches, katholisches Dorf, sehr arm und rings von Tartaren umgeben. Das nächste katholische Dorf liegt in Persien, aber mehr als acht Tagereisen entfernt. Der Ortsgeistliche hatte seit zwei Jahren keinen Priester mehr gesehen; er war glücklich, uns in seiner armseligen Hütte empfangen zu können. Kaum waren wir zwanzig Minuten da, als auch „zufällig“ der Chef der Polizei hereinkam. Er richtete zwar keine Frage an uns; aber die erschrockenen Mienen der Einwohner zeigten deutlich, daß diese wußten, daß der Polizist nur gekommen war um zu spionieren. Ich fürchtete gleich, daß er den Pfarrer unsern Besuch teuer werde bezahlen lassen. Der Pfarrer war ein harmloser Mensch, der von einer Verschwörung gegen die Regierung „Seiner Heiligen Majestät“ durchaus nichts wußte.

Meine Befürchtungen waren leider nur zu gerechtfertigt. Im Frühjahr 1891 erhielt ich einen Brief aus Persien, der mich von der Verbannung des Pfarrers benachrichtigte. Der allmächtige Kaiser von Rußland kann einige arme Chaldäer nicht in Frieden leben lassen. Zuerst nimmt er ihnen den Seelenhirten weg, und

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/69&oldid=- (Version vom 1.8.2018)