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sich dazu eines vollen Schlittens, dessen Unterseite mit scharfen Kieselsteinen versehen ist. Ein Mann steht auf dem Schlitten, der von zwei Ochsen gezogen wird. Diese sind an eine Stange gespannt, die als Deichsel dient, und drehen sich rund. Die scharfen Kieselsteine zerschneiden das Stroh und drücken die Körner aus den Ähren. Das kleingeschnittene Stroh dient den Tieren zur Nahrung und als Streu, sowie als Bestandteil der leicht entzündlichen Brennkuchen, wovon später noch die Rede sein wird. – In Persien gebraucht man zuweilen statt der scharfen Kiesel ein Paar Walzen, die mit Stahlmessern versehen sind. Auf den Achsen der Walze ruht ein Gestell, das man mit schweren Kieselsteinen belegt, um der Maschine ein hinreichendes Gewicht zu geben.

Der Gebrauch mit scharfen Kieselsteinen versehener Waffen ist noch sehr häufig im Orient; er soll in das hohe Altertum zurückreichen und sich über ein weites Gebiet erstreckt haben. Ich bin geneigt anzunehmen, daß die Archäologen oft zu leicht den geschnittenen Kieselstein unter die Angriffswaffen gezählt haben, da er doch nur und namentlich in der verhältnismäßig neuern Zeit zu friedlichen Zwecken gedient hat. Dann wäre auch das Vorkommen der geschnittenen Kiesel durchaus kein Zeichen einer historisch alten Zeit.

Gegen acht Uhr konnten wir endlich reisen. In dem Maße, wie wir gegen die Ebene des Aras hinabstiegen, folgte der Kälte des Morgens eine sehr große Hitze. Noch zwei Stationen trennten uns von Eriwan. Der Ararat zeigte sich immer mehr; aber die mannigfaltigern Umrisse des Alagos beeinträchtigen ihn bedeutend.

Bei einer letzten Biegung des Weges entrollte sich plötzlich das ganze Panorama des Ararat vor uns. Zu unsern Füßen, am Ende eines steilen Abhanges, bemerkten wir eine Oase in der Wüste, einen mit Häusern gemischten Wald, nämlich Eriwan.

Hinter der Stadt liegt eine weite Ebene, die im Frühling mit Grün geschmückt ist, damals aber eine unfruchtbare, dürre Steppe bildete. Ganz im Hintergrunde erhebt sich ohne alle Vorberge zu einer Höhe von über 4000 Meter der Ararat in seiner unvergleichlichen Majestät mit seiner Krone von ewigem Schnee.

In dem überraschenden Zauber der orientalischen Atmosphäre gesehen, ist dieses Gebirge wahrhaft großartig. Einige Linien, mit denen die unserer Alpen nicht verglichen werden können, genügen, um eine großartige Landschaft zusammenzustellen, die allerdings zuweilen ein wenig einförmig ist, aber im ganzen doch immer harmonisch wirkt.

Diese Landschaftsbilder des Orients verlangen eine gewisse Einführung, wenn sie verstanden werden sollen. Die Einfachheit ihrer Formen ruft meist bei dem Fremden eine gewisse Enttäuschung hervor, wenn er andere Landschaften, z. B. die römische Kampagne kennt, wird er die Landschaften des Orients bewundern müssen. Er wird sie gerade der einfachen Formen wegen lieben, denn sie gewähren auch dadurch noch den Vorteil, daß sie in dem Geiste haften bleiben und gleichsam zu lebenden Bildern werden, welche man nach Wunsch sich wieder vor das geistige Auge hinstellen kann. Ohne jede Anstrengung kann ich noch jetzt, drei Jahre nach dem Anblick des Ararat, sein Bild in der irische des ersten Eindruckes vor meinem Geist vorbeigehen lassen. Aber diese so schönen Landschaften trotzen allen photographischen Aufnahmen, weil sie eben zu panoramisch und zu wenig gegliedert sind. Alle die Reproduktionen des Ararat sind nur Karikaturen.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/58&oldid=- (Version vom 1.8.2018)