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Nahebei befindet sich ein Pachtgut, das Farhan Pascha gehört; es scheint verlassen oder doch nur von Dieben besucht zu werden – eine Partie dieser Herren hatte in der letzten Nacht hier logiert, denn das Feuer war kaum erloschen.

In dem Hofe fanden wir noch Bruchstücke einer Säule, die eine vierzeilige pehlevische Inschrift trägt.

Abreise 8 Uhr 40 Min.

Das Wetter war sehr trübe. Zunächst fuhren wir einer Hügelreihe auf dem rechten Ufer entlang. Diese Hügel fallen senkrecht in den Fluß ab und bieten besonders bei der Beleuchtung durch die Mittagssonne herrliche Anblicke. Eine hohe Pyramide von Felsen trägt stolz auf ihrem Gipfel eine zerstörte Festung, Kalaat-Makhul.

Diese Hügel führen den Namen Dschebel-Khanuka.

Da das linke Ufer immer mehr eben wird, so fuhren wir dem rechten Ufer entlang, dessen ziemlich hohe Felsenklippen in den unteren Lagen aus Trümmergestein, in der obern aus Erde zu bestehen scheinen.

Gegen halb drei Uhr passierten wir die Mündung des kleinen Zab; er fließt langsamer und ist nicht so wasserreich als der große Zab, doch immerhin sehr bedeutend.

Bis zur Aufnahme des Zab fließt der Tigris ruhig zwischen seinen stillen und verlassenen Felsenklüften, wo nur einige Vögel ein Lebenszeichen von sich geben; nach dem Zusammenfluß der beiden näherten nur uns dem Dschebel-Hamrin,[1] einer Kette von hohen und felsigen Hügeln oder, besser gesagt, Bergen mit fremdartigen Formen und phantastisch geschnittenen Thälern. Der Tigris hat sich durch diese Felsenbarriere einen Durchgang gebrochen; freilich ist sein Bett eng und sein Lauf dadurch rasch. Diese Landschaft ist sehr schön und bietet einfache Formen.

Diese Schlucht bildet die „chaldäische Pforte“. Da uns viel daran gelegen war, diese Gegend bei Tage zu durchreisen, so suchte der Kellekdschi beim Einbruch der Nacht eine günstige Stelle zum Anlegen; aber zwischen den Felsen sind diese Gestade selten. Wir fanden bloß eines, das aber leider mit einem Lager arabischer Schammaren besetzt war. Da mit diesen nicht gut fertig zu werden ist, so mußten wir, ob wir wollten oder nicht, die chaldäische Pforte durchfahren bei der Dunkelheit und eine Meile stromabwärts landen.

Der Abend hatte übrigens einen köstlichen, poetischen Zauber; am Ufer des Flusses warfen die Feuer der Nomaden ihren unbestimmten Schein auf die Felsenklippen des Dschebel-Hamrin, von dessen schwarzen Gipfeln sich prachtvoll die funkeln, den Sterne abhoben. Die Kellekdschis begleiteten ihre Thätigkeit mit einem melancholischen, angenehmen Rhythmus, dessen einförmige Wiederholung durchaus nicht ermüdet, sondern mit der ganzen Natur im Einklange steht.[2]

  1. Der Zabtieh nannte diesen Teil der Kette auf dem rechten Ufer des Flusses Dschebel-Makhul.
  2. Hier folgt der Gesang, so gut ich mich dessen noch erinnere:
    \version "2.16.2"
\relative c'' { \once \override Staff.TimeSignature #'transparent = ##t   \cadenzaOn g1  d8^( [g] d [g ])   b1 \bar "" b4 a  a b a g  g1 d8[ g ] d [g] b1  b4 a   a b a g  g8[ g,] \cadenzaOff \bar "."}
\addlyrics { an --  an -- an - - - - - - -  an - - - - - - - - uah. }


    Die Silbe an wird lang gezogen und durch die Nase gesungen. Von einem eigentlichen Takt ist keine Rede.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/329&oldid=- (Version vom 1.8.2018)