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Ich habe Gelegenheit gehabt von den Nestorianern in Bezug auf die Lazaristen-Mission in Urmia zu reden.

In der Umgegend von Mosul giebt es heute keine mehr. Aber die chaldäische Kirche hat in den letzten Jahren eine schlimme Krisis zu bestehen gehabt. Papst Pius IX. modifizierte durch die Bulle „Reversurus“ in einem zentralisierenden Sinne die Gebräuche bei der Ernennung der Bischöfe; diese Bulle rief in der armenischen Kirche das Schisma des Coupelian und in der chaldäischen Kirche das Schisma des Mellus hervor. Man hofft, daß der Heilige Stuhl diese Angelegenheit für die chaldäische Kirche in derselben Weise erledigen wird, wie er es für die armenische Kirche auch gethan hat.[1]

  1. Dank dem geschickten Eifer Mgr. Abolianans wurde das chaldäische Schisma im Jahre 1890 beendet, und Mellus trat in die Gemeinschaft der römischen Kirche zurück.
    Papst Leo XIII. berief im Herbste 1894 die Patriarchen der orientalischen Riten nach Rom und hielt mit ihnen mehrere Konferenzen ab, die allem Anscheine nach dazu angethan sind, in der Entwickelung dieser Kirchen und in ihren Beziehungen zu Rom, als dem Sitze und dem Mittelpunkt der christlichen Einheit, eine neue Ära zu eröffnen. Der Zweck der Konferenzen war der, über eine einheitliche Aktion der verschiedenen Riten zu beraten, um die schismatischen Kirchen mit Rom zu vereinigen. Schon der früher in Jerusalem abgehaltene eucharistische Kongreß war gleichsam die Vorstufe zu diesem Werke, da auf demselben mehrere geistliche Würdenträger der Schismatiker mit katholischen Bischöfen in Berührung kamen. Dann erfolgte in dem Jahre 1894 die herrliche Encyklika Leos, worin der Papst den außerhalb der Kirche Stehenden die Hand zur Versöhnung reicht. Bekanntlich besitzen die mit Rom unierten Patriarchen kirchliche Befugnisse über die Bischöfe, Priester und Laien ihres Ritus, wie sie kein abendländischer Patriarch genießt, so daß sie in dieser Hinsicht sehr viel ausrichten können.
    Endlich ist ein Hauptgrund, weshalb sich die Schismatiker von Rom fern halten, der, daß sie glauben, sie müßten in der römischen Kirche aufgehen, ihren historischen Rang verlieren.
    Im Umfange des türkischen Reiches giebt es fünf Patriarchate der orientalischen Riten: Das armenische in Konstantinopel (mit dem Titel von Cilicien), das griechisch-melchitische in Damaskus (mit dem Titel von Antiochia), das syrische (ebenfalls mit dem Titel von Antiochia) in Mardin in Syrien, das maronitische (ebenfalls mit dem Titel von Antiochia) zu Bekerke-Diman auf dem Libanon, das chaldäische in Mosul (mit dem Titel von Babylon). Der maronitische Patriarch wurde nicht nach Rom berufen, weil alle Maroniten mit Rom vereinigt sind; das chaldäische Patriarchat war gerade verwaist, weil der chaldäische Patriarch Elias Abolianan 1894 gestorben war. (Während der Konferenz waren in Mosul die Bischöfe vom chaldäischen Ritus versammelt, um an Stelle ihres verstorbenen Patriarchen einen neuen zu wählen. Ihre Wahl fiel auf Georg Ebediesu Kayjak, bisheran Erzbischof von Amida, dessen Bestätigung in Rom erbeten wurde.
    Als Teilnehmer an den Konferenzen blieben somit noch übrig der armenische Patriarch Stephan Azarian, der griechisch-melchitische Patriarch Gregor Jussef und der syrische Patriarch Benham Benni.
    Unter dem armenischen Patriarchen stehen 17 Erzbischöfe und Bischöfe und ungefähr 150000 Gläubige. Außer diesen mit Rom vereinigten giebt es auch noch die schon angeführten nichtunierten armenischen Katholiken unter ihrem Katholikos.
    Die dem griechischen Ritus angehörenden Melchiten mit arabischer Liturgie in Syrien, Palästina und Ägypten haben außer dem Patriarchen 11 Erzbischöfe und Bischöfe und zählen ungefähr 60000 Seelen. (Der griechische Ritus weist mehrere Abzweigungen auf. Den griechischen Ritus mit griechischer Sprache haben die katholischen Griechen in Griechenland, Sicilien und Italien, ungefähr 100000 Seelen; dem griechischen Ritus mit altslawischer Liturgie gehören die katholischen Russen, Rutenen, Serben und Bulgaren an, ungefähr 3½ Millionen Seelen; den griechischen Ritus aber mit rumänischer Liturgie haben die Katholiken und Schismatiker in Rumänien; zu den unierten Rumänen gehören 1½ Million Seelen. — Ferner ist noch der koptische Ritus mit koptischer Liturgie in Ägypten zu erwähnen.)
    In mehreren Konferenzen wurde unter dem Vorsitz des Papstes Verschiedenes beschlossen. Zunächst wird eine besondere orientalische Kongregation gebildet, um dem heiligen Stuhl die direkte Entscheidung aller dogmatischen und kirchlichen Fragen vorzubehalten. Die von den orientalischen Bischofssynoden vorgenommene Wahl der Patriarchen wird in Zukunft dem Papste zur Genehmigung unterbreitet, wohingegen den orientalischen Kirchen, d. h. den unierten, ihre Riten und übrigen Privilegien ausdrücklich belassen und bestätigt werden, so daß jeder Verdacht einer „Latinisierung“ hinfällig wird. Ferner wurde die Gründung eines besonderen Organes für den Orient beschlossen, dessen Aufgabe es sein soll, die unter den Schismatikern verbreiteten Vorurteile gegen die katholische Kirche zu widerlegen und der letzteren die Sympathien des Hellenismus und der slawischen Kirche gewinnen zu helfen. Auch erwartet man das baldige Erscheinen einer Encyklika an die Orientalen, um die Schismatiker von neuem zur Rückkehr in die Mutterkirche einzuladen. (Anmerkung des Übersetzers.)
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/301&oldid=- (Version vom 1.8.2018)