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kauft es jetzt fast alle seine Stoffe im Auslande. Aber eine Bedeutung hat es behalten, die es auch nicht verlieren kann, nämlich die einer natürlichen Handelsstation.[1]

Auch ist Mosul noch ein bedeutender Platz für die Viehzucht. Gewisse Einwohner Mosuls sollen bis 25000 Schafe besitzen; manche Handelsleute besitzen aber gewiß deren 14000 bis 15000. Die Herden in Mosul zählen wenigstens eine Million Schafe, man spricht freilich auch von zwei und sogar von drei Millionen. Während der feuchten Jahreszeit befinden sie sich in der Wüste, und während des Sommers im Gebirge. Ein ausgewachsenes Mutterschaf kostet durchschnittlich sechszehn Mark; in zwei Jahren hat es sich durch seine Wolle u. dgl. bezahlt gemacht. Die Viehzucht würde für den Orientalen eine Quelle großen Reichtums sein, wenn er nur nicht von der Hand in den Mund lebte und in guten Jahren sich für Unglücksfälle vorsehen würde. Der plötzliche Schneefall verursacht zuweilen unter den Schafen eine sehr große Sterblichkeit.

Mosul gegenüber erheben sich auf dem linken Ufer des Flusses zwei große Erdhaufen: der eine ist Kujundschik. der andere der von Nebi-Junes, der das gleichnamige Dorf trägt. Beide lehnen sich an eine lange Erhöhung aus Erde an, die eine feste Umwallung von ungefähr fünfzehn Kilometer im Umfange hat. Es liegen hier die Ruinen Ninives oder vielmehr das Leichentuch, das sie bedeckt. Die gebrannten Ziegel, welche die Bekleidung der Paläste bildete, sind eingestürzt; die ungebrannten Ziegel, aus denen die Mauern aufgeführt waren, haben sich unter dem Einfluß der Witterung zersetzt, bedecken die Marmorplatten, welche als Zimmerschmuck dienten, und haben die geflügelten Ungeheuer, die den Eingang verwehrten, begraben und schützen so das wenige, was den räuberischen Horden des Cyaxares und Nabopolassar im Jahre 625 vor Christus entgangen ist.[2]

Diese beiden Erdhaufen trugen die Paläste der assyrischen Könige. Kujundschik, das von Botta und noch mehr von Layard, Smith und Rassam durchforscht worden ist, hat kostbare Ausbeuten geliefert. Man hat hier einen Plan eines königlichen Palastes bloßgelegt, eine Menge Inschriften entdeckt und besonders die berühmte Bibliothek Assurbanibals. Aber der Schutthaufen von Kujundschik besteht aus einer ungeheuren Masse von Ziegeln und Erde, die auf mehr als 14 000 000 Tonnen geschätzt wird. Man müßte ungefähr die Hälfte dieser Masse entfernen, um den Palast, der sich auf einer künstlichen Terrasse von rauhen Ziegeln erhob, vollständig bloßzulegen. Bis jetzt hat man nur teilweise Ausgrabungen gemacht und dies auch noch ohne besondern Plan. Aber das, was man gefunden hat, läßt noch auf große Reichtümer schließen.

Heute zieht der Arbeiter seinen Schiebkarren über die Ruinen der Paläste Sennacheribs und Assurbanibals.

Ich habe an gewissen Stellen in den halbverschütteten Durchstichen der Ausgrabungen eine sehr merkwürdige Thatsache beobachtet, nämlich eine dünne Schicht von abgerundeten Kieselsteinen und anderm Gerölle, die sich inmitten der eingefallenen Erdmassen befand. Wie soll man aber dieses Vorkommen erklären? Eine Überschwemmung,

  1. Man zählt in Mosul allein 12095 männliche Mohammedaner und 4011 nicht mohammedanische männliche Einwohner. Die Gesamtbevölkerung dürfte wohl das Dreifache dieser Zahl erreichen.
  2. Siehe Lenormant et Babelon, Hist. auc. IX. 381.
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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/294&oldid=- (Version vom 1.8.2018)