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Es war unmöglich, weiter zu fahren; denn bei dem geringen Tiefgang des Kelleks und der großen Oberfläche unseres Hauses, die dem Winde auch eine breite Angriffsfläche bot, konnten wir nicht vorankommen. Zudem ließ sich der Kellek auch nicht lenken; die Ruder dienten nur dazu, um ihn in der richtigen Strömung zu halten und dem Winde ein Gegengewicht zu bieten, wenn er uns auf Sandbänke treiben sollte. Es blieb uns also nichts übrig, als den Kellek beizulegen und dies bei einer durchdringenden Kälte. Alle außergewöhnlichen Winterkleider, deren wir uns nicht einmal in Wan bedient hatten, wurden aus den Koffern geholt und schützten uns doch kaum vor der Kälte.

Unsere von Kälte durchdrungenen Leute hatten alle Energie verloren. Der zu Regen gewordene Schnee begann durch den Filz zu sickern. Es würde genügen, um uns alle vor dem Wasser zu schützen, wenn wir unsere beiden großen undurchdringlichen Reisedecken auf unserm Hause ausbreiteten. Als wir aber an das Werk gehen wollten, war es unmöglich, unsere Leute von der Stelle zu bringen. Wir konnten ihnen noch so klar machen, um was es sich handelte, alles war vergebens; sie waren eben so große Fatalisten wie die eifrigsten Mohammedaner. Es war nach ihrer Ansicht beschlossen, daß wir durchnaß werden sollten; weshalb sollte man dies zu umgehen suchen? Hyvernat und ich waren also gezwungen bei einer Kälte, die uns die Finger erstarren machte, unsere Reisedecken, so gut es eben ging, auf dem Hause auszubreiten; aber nun drohte der Wind, sie zu entführen. Wir mußten sie auch noch an den Filz befestigen – das Geschäft war für Anfänger schwierig, so daß unsere Finger zu bluten anfingen; aber wir waren wenigstens vor dem Regen geschützt.

Ein armer Kurde kam zitternd vor Fieber bei diesem schrecklichen Wetter von einem benachbarten Dorfe, um uns aufzusuchen; er litt schrecklich, wahrscheinlich an einer Rückenmarkskrankheit. Er hatte Sahto getroffen, und dieser hatte ihm erzählt, daß wir ihn wunderbar von einem ähnlichen Leiden geheilt hätten – er hatte nämlich einen Fluß, wofür wir ihm ein Senfpflaster gaben. Auf diese Erzählung hin machte sich der arme Kurde auf den Weg in dem festen Vertrauen, bei uns Heilung zu finden. Wir waren gezwungen, unserm Rufe als Arzte Ehre zu erweisen; denn wenn wir uns unfähig erklärt hätten, so hätte der Kurde gemeint, es mangele uns an gutem Willen, und dies hätte ihn tief betrübt. Wir entdecken also an unserm Patienten irgend eine Krankheit, fügen aber hinzu, daß dieselbe langwierig und schwer zu heilen sei, und daß wir ihm wegen der großen Gefahr, die damit verbunden sei, die Mittel nicht anvertrauen könnten. Wir gaben ihm etwas Chinin, das vielleicht sein Fieber etwas vertrieb. Ohne Zweifel ist der arme Kerl aber nicht mehr lange gelaufen.

Andern Tages sollten wir, wenn es dem Winde gefiel, in eine gemischte Gegend kommen, wo arabische Nomaden, Kurden und Chaldäer zusammenstoßen: es ist dies eigentlich nicht mehr Kurdistan. während der Sturm nun tobt, wollen wir noch einiges über die gefürchteten Kurden hören.

In Wirklichkeit ist es mir nicht gelungen, viele Nachrichten über die Kurden zu erhalten. Armenier oder Chaldäer haben mit den Europäern hinsichtlich der Religion manche Berührungspunkte; Missionare und Reisende haben sie in der Nähe

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/282&oldid=- (Version vom 1.8.2018)