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für uns zu gefährlich; wir mußten also auf der Stelle umkehren und einen andern Pfad suchen. Auf diesem erreichten wir nach angestrengtem Klettern den Gipfel eines Felsens und kamen dann nach mancherlei Stürzen glücklich wieder an den Fluß. Auf diesem Abstieg sind Löcher ausgehöhlt, worein die Pferde die Füße setzen können; aber alles war so steil und durch den Regen so schlüpfrig geworden, daß das Gepäck von einer Seite des Felsens wider die andere stieß, so daß wir uns fast wundern mußten, als wir unten ankamen, daß kein Mensch und kein Tier dadurch tot geblieben war. Eines von unseren Pferden hatte sämtliche Hufeisen verloren; zum Glück hielten zwei Felsspitzen das Gepäck aufgefangen, so daß das Pferd in der Luft hing und von unseren Leuten wieder auf die Beine gebracht werden konnte. Ohne diesen gefälligen Felsen hätten wir wohl ein Unglück zu beklagen gehabt.

Allmählich wurde es Abend; den ganzen Tag über waren wir in der Wüste gereist. Auf dem rechten Ufer liegen einige Dörfer in den Felsen verborgen; unser Ufer, das nur Ruinen aufweisen kann, entspricht der Landschaft Kurdistans völlig. In der absoluten Stille hört man nichts weiter als das Murmeln des Flusses; das geringste Geräusch, ein Wort u. dgl. weckt an den Felsenklippen ein vielfaches Echo. Diese verlassene und trübe Landschaft an einem Flusse, der berufen zu sein scheint, überall Leben hervorzuzaubern, ist großartig und zugleich traurig.

Ankunft 6 Uhr abends.

Als aber die Nacht hereinbrach, drängte sich uns eine sehr wichtige praktische Frage auf: wo sollten wir schlafen? Fenndück war noch sehr weit entfernt, und die Zabtiehs zeigten sich sehr unwissend in geographischer Hinsicht. Wir nahmen mit dem alten Hadschi-Ali die Spitze der Karawane ein, und nach vielem Waten im Schlamm, nach anstrengendem Klettern und Marschieren, kamen wir endlich zu dem armseligen Dörfchen Bisina, das hoch oben an einem felsigen Vorgebirge hängt. Man würdigte uns kaum einer Aufnahme, wir waren inmitten einer wahren Wildnis. Der Chef des Dorfes hat ein sehr grausames Aussehen; einen richtigeren Kurden kann man sich kaum vorstellen. Da wir ganz durchnäßt waren, so trockneten wir uns an seinem Heuer, während er uns gegenübersaß und seine Pfeife rauchte, wobei er uns sehr argwöhnisch betrachtete.

Nachdem eine Stunde verflossen war, war unser Gepäck noch immer nicht angekommen; entweder hatten sich unsere Leute verirrt oder waren ausgeplündert worden. Wir schickten Leute des Dorfes aus, um nach dem Gepäck zu suchen; aber da sie halb gegen ihren Willen gingen, so kehrten sie auch bald unverrichteter Sache zurück. Da sie nicht sonderlich durchnäßt waren, was sie eigentlich dem Wetter nach hätten sein müssen, so kam ich auf den Verdacht, daß sie ihre Nachforschungen nur bis zu den letzten Häusern des Ortes ausgehnt hatten.

Was sollten wir machen? Trotz unserer Unruhe mußten wir uns bis zum Tage gedulden und versuchen, etwas Nahrung für uns und unsere Pferde zu erhalten. Nach langem Hin- und Herreden entschloß sich der Chef, unseren Pferden etwas Gerste zu geben und uns ein bißchen Käse zu servieren, in den die Kurden nach ihrer Gewohnheit die Finger abdrücken, ferner Brot und eine Art Weinbeerenmus, das ganz gut schmeckte, wenn man nur die Gewißheit hätte, daß es

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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/267&oldid=- (Version vom 1.8.2018)