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Strom führt viel Schlamm mit, und seine Farbe hat Ähnlichkeit mit der gelben Sienafarbe.

Um die Ufer zu gewinnen, mußten wir eine schwierige Berggegend hinab steigen. Ein kleiner Khan[1] hatte in einer Ecke unter den Felsklippen seine Zuflucht gesucht; einige Schritte weiter stürzte sich ein Bergstrom mit gelbem Wasser und ganz von dem Regen angeschwollen in den Tigris. Ich fragte mich mit einiger Unruhe, wie wir wohl über den Fluß setzen würden, als ich, halb durch die Felsen verdeckt, eine Brücke in sehr gutem Zustande bemerkte. „Hier setzt man gar nicht über,“ erklärten die Zabtiehs ganz lakonisch. Statt einer weitern Aufklärung lächelten sie bloß und führten die Karawane an das Ufer des Flusses, den wir darauf durchwateten, allerdings mit großer Mühe. Als wir auf dem jenseitigen Ufer waren, fand ich auch die Erklärung des Geheimnisses. Die von dieser Seite zugängliche Brücke stößt mit dem entgegengesetzten Ende wider eine Wand von absolut senkrecht abfallenden Felsen; aber von einem Wege, um dorthin zu kommen, ist keine Spur. Unsere Leute, die sich nicht durchnaß machen, sondern die Brücke benutzen wollten, mußten zunächst einen großen Umweg machen, um den Gipfel des Felsens zu erreichen, und sich dann einen Weg bahnen, um bis zur Brücke zu kommen. Wer kann, mag den Grund zu einer solch thörichten Einrichtung erklären, ich verzichte darauf.

Der Regen fiel unaufhörlich.

Zwei Pfade führen an dem Flusse vorbei; der eine, der bei Hochwasser gebraucht werden muß, geht in der Höhe in phantastischen Zickzackformen um die Berge herum; der andere, der bei niedrigem Wasserstande benutzt wird, geht an dem Ufer vorbei; dem Anscheine nach konnten wir diesen einschlagen, da das Wasser nicht sehr hoch ging. Das Hochwasser des Tigris muß schrecklich sein, nach den Trümmern zu urteilen, die es in dem Gebüsch ungefähr zehn Meter über unsern Köpfen zusammengedrängt hatte.

Der Tigris ist hier nicht so breit wie der Rhein in dem Binger Loch; er treibt meist zwischen hohen Kalkfelsen hindurch, die eine üppige Vegetation von mancherlei Gestrüpp aufweisen. Der von Tag zu Tag nach den Launen des Wassers wechselnde Pfad ist nichts weiter als ein erbärmlicher Fußsteig, wo mit Absicht eine Menge Steine umhergestreut zu sein scheinen.

In der Höhe von Tschellek, das auf dem rechten Ufer seine Hütten malerisch an dem Fuße eines Felsen gruppiert hat, ist der Fluß nicht mehr so eingeengt; zu unserer Linken gewährte uns ein halb verfallener Khan während einiger Augenblicke Schutz vor dem Regen. Vor uns hoben sich in dem Nebel noch unbestimmbare Anhäufungen von Bergen mit bizarren Formen ab; es sind dies die letzten Ausläufer des Masius, die hier wie mächtige Mauern senkrecht in den Felsen abfallen.

In jenen Tagen war der Tigris ein wenig gestiegen; plötzlich verlor sich der Pfad in dem Wasser, um einige hundert Meter weiter wieder sichtbar zu werden. Bekir Agha wollte das Terrain sondieren, fand aber die Passage durch das Wasser

  1. Dieser Khan ist ohne Zweifel der Khan Schebele. Kiepert hat ihn als Dorf verzeichnet; aber von einem Dorfe dieses Namens konnten wir keine Spur entdecken.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/266&oldid=- (Version vom 1.8.2018)