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wird, so ist der Weg an manchen Stellen fast ganz verschwunden, wodurch die Passage sehr erschwert wird.

Das Thal des Bohtan-Su, dessen rechtem Ufer wir entlang gingen, ist prächtig; es erinnerte mich an die Schluchten des Doubs zwischen Montbéliard und Besançon; aber hier ist die Einsamkeit großartiger und dieses Schweigen der Natur gleichsam doch beredt. Bald wird die Schlucht noch enger und der Weg noch schlechter. An gewissen Stellen hat eine vorsorgliche Verwaltung – ohne Zweifel vor sehr langer Zeit – Löcher in den Felsen höhlen lassen, um den Pferden ein Ausruhen zu ermöglichen, ohne daß sie auf den im Laufe der Jahrhunderte geglätteten Steinen ausgleiten. Längs des Weges wachsen verkrüppelte Feigenbäume, Sträucher von Terpentinbäumen und einige wilde Granatbäume.

Drei Stunden von Saïrd machte unsere Karawane in einer großen, künstlich ausgehöhlten Grotte Halt, die sich in einem Kalkfelsen befindet. Die Grotte ist ähnlich angelegt wie die kurdischen Häuser. Eine mittlere Terrasse dient als Wohnung und ist von einem Pferdestall umgeben. Die Grotte war unbewohnt; wahrscheinlich hat sie früher als Khan gedient.

Eine Strecke von dieser Grotte entfernt wird das Thal allmählich breiter, und der Bohtan-Su nimmt auf der linken Seite einen Zufluß auf. Auch die Zusammensetzung des Terrains wechselt hier vollständig; die Ufer des Flusses bestehen aus sehr großem Trümmergestein, dessen obere Lagen im allgemeinen auf ziemlich verwitterten Steinschichten ruhen. Durch die Verwitterung dieser untern Lagen bilden sich an manchen Orten große natürliche Grotten. Wenn diese Verwitterung einmal weiter vorgeschritten sein wird, werden die oberen lagen der Felsen zusammenbrechen und ein Gerölle mit fremdartigem Aussehen bilden, in dem das Auge die Ruinen einer alten Stadt zu erkennen glaubt.[1]

Gegen zweiundeinhalb Uhr erreichten wir das Ufer des Flusses, wo ein armseliges Boot unser wartete; denn an der Stelle wird man über den Bohtan-Su gesetzt. Der Fluß kann kaum durchwatet werden, da er ziemlich breit und tief ist. Xenophon, der hier mit seinen Zehntausend vorbei mußte, wird der Übergang sicher noch schwerer geworden sein. Durch diese klassische Erinnerung wurde unser Mut wieder gehoben, so daß wir das lästige Geschäft dann endlich unternahmen. Zunächst wurden die Pferde von der Last befreit und die lasten übergesetzt. Dann mußten die Pferde, die durchaus keine Neigung zur Schiffahrt zeigten, in die Barke geschafft werden. Aber dies ging nicht so leicht. Der Boden der Barke steigt nach den Enden zu an und liegt dort wenigstens 60 Centimeter höher als in der Mitte. Eine Brücke, die zu der Fähre benützt werden könnte und über die wir die Tiere hätten führen können, existierte nicht. Unsere Pferde sollten also – so lautete wenigstens das Programm – einen Anlauf nehmen und in die Barke springen. Aber keines wollte das Experiment zuerst wagen; alle erschraken, bäumten sich und schlugen hinten aus. Wir waren schließlich gezwungen, das Tier ganz langsam an

  1. Diese Lagen aus Trümmergestein finden sich auch an den Ufern des Tigris bis Dschesireh und darüber hinaus; sie überragen den Fluß bis zu einer Höhe von 20 bis 30 Metern. Da diese Felsen leicht der Verwitterung zugänglich sind, so lösen sich eingefügte Kiesel leicht los und bilden an verschiedenen Orten wahre Gestade von Kieselsteinen, wodurch der Marsch an dem Tigrisufer wesentlich erschwert wird.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/263&oldid=- (Version vom 1.8.2018)