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Wir fanden bald in einem bewaldeten Hintergrund eine kleine Quelle[1] und zum Glück einen großen Vorrat Holz, von irgend einem armen Kurden zum Fortbringen fertig gemacht. Wir mußten selbst teilweise Kurden geworden sein, denn ohne Gewissensbisse nahmen wir einen Teil des Holzes sofort in Beschlag. Freilich muß man auch wieder hinzufügen, daß in jenen Gegenden die Eigentumsansprüche oft zweifelhafter Natur sind – und Not bricht Gesetz.

Die Gegend unseres Lagers befand sich in einem sanften Abhange; als erfahrener Räuberhauptmann hatte Gegu sofort alle Vorbereitungen getroffen. Das Gepäck wurde in einem Halbkreis aufgestellt und bildete eine Art Verschanzung auf der Höhe des Abhanges; wir lagerten nahe dabei, etwas tiefer unsere Leute, und noch weiter vom Feuer wurden die Pferde ebenfalls in Form eines Halbkreises „untergebracht“. Bald waren zwei große Feuer angezündet, das eine für uns und das andere für unsere Leute, die übrigens außerordentlich lustig waren. Ihre Vagabundennatur lebte ganz auf bei dem Gedanken an ein Lager im Freien: Gegu war kaum wieder zu erkennen. Der Abend verlief ungemein schon, und erst um elf Uhr suchten wir unsere Feldbetten auf, die wir mit dem Fußende gegen das Feuer zu aufgestellt hatten; in unsere Decken eingehüllt, die Lesghienne bis zum Kinn heraufgezogen, die Flinte zwischen den Beinen, schliefen wir bald fest und ohne Sorgen. Und dennoch befanden wir uns in einem der gefährlichsten Teile Kurdistans.

Von allen Seiten überragt und dazu noch bei dem Scheine des Feuers, würden wir den Briganten eine unfehlbare Zielscheibe geliefert haben und überrumpelt worden sein, ehe wir auch nur einen Schuß hätten abgeben können. Aber wir waren so ganz bezaubert von unserm Lager, daß wir alles vergaßen; um so mehr war ich am andern Morgen erstaunt, als ich sah, wie Gegu, der besser mit den Verhältnissen des Landes vertraut war, bei dem Feuer kauerte und die ganze Nacht kein Auge geschlossen hatte.

4. Dezember. Abreise 7½ Uhr.

Gegen vier Uhr des Morgens begann es fein zu regnen. Während wir Toileite machten, kam eine große Menge Feldhühner, angezogen durch den Feuerschein, geräuschvoll über unser Lager geflogen; selbstverständlich warteten sie aber nicht so lange, bis wir unsere Flinten zur Hand hatten.

Der Staubregen des Morgens ging bald in einen förmlichen Regen über, den wir den ganzen Tag über auch nicht für einen einzigen Augenblick los wurden. Der immer noch halsbrecherische Weg war mit Kieselsteinen angefüllt und führte über die höheren Abhänge mehrerer Thäler, deren Gewässer gegen Nordosten fließen. Auf der Karte sind dieselben nicht verzeichnet. Nach meiner Ansicht vereinigen sich alle in einem großen Thale, das sich später südlich wendet, um sich mit dem Hauptfluß, dem Khaser-Su zu vereinigen, der sich in den Bohtan-Su unterhalb Saïrd ergießt.

Bis Saïrd trafen wir kein Dorf, so daß ich auch Warkhan nicht finden konnte.

  1. Ainsworth hat auf seiner Reise von Saïrd nach Bitlis an derselben Stelle kampieren müssen und nicht ohne große Furcht vor den Kurden. A. a. O. II. 366.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/254&oldid=- (Version vom 1.8.2018)