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hatte. Übrigens verstanden es seine Nachfolger, indem sie die Verlegenheiten der Sultane benutzten, sich mehr oder weniger ihre Selbständigkeit zu wahren. Die Türkei konnte auf Bitlis erst einen direkten Einfluß ausüben, indem sie an Stelle der Beys die Walis setzte nach dem harten Kampfe in Kurdistan, der 1847 die Niederlage Mahmuds, des Beys von Wan, herbeiführte.

3. Dezember. Abreise 7½ Uhr.

Überall findet man dieselbe Schwierigkeit, wenn man genaue Auskunft haben will. Niemand konnte uns die Zeit angeben, die nötig ist, um Saïrd zu erreichen, und zudem ist Saïrd die nächste Stadt. Die Abschätzungen schwanken zwischen dem Doppelten und Dreifachen. Allgemein heißt es, daß wir nur einen Tag notwendig hätten; in diesem Falle war auch die Karte unzuverlässig. Wir begeben uns also auf gut Glück auf die Reise.

Hinter Bitlis folgt man zunächst der „Fahrstraße“ von Bitlis nach Saïrd, die aber schon nach hundert Metern nicht mehr brauchbar ist. Noch eine Viertelstunde weiter, und man hat die Straße gänzlich aus den Augen verloren und findet statt ihrer den alten Pfad.

An der Stelle, wo die „Straße“ endet, sprudelt eine kleine Thermalquelle; sogar beim Verlassen der Stadt bemerkten wir zwei schwefeleisenhaltige Quellen, deren man in dem Lande eine Menge zählt, die aber niemand zu benützen gedenkt.

Der Weg, der bis Dukhan auf dem rechten Ufer des Bitlis-Tschaï bleibt, verwandelt sich rasch in einen Ziegenpfad. In einer Entfernung von anderthalb Stunden von Bitlis stößt er plötzlich auf einen großen, felsigen Ausläufer, der in das Bett des Stromes zu fallen droht. Dieser Ausläufer hemmt die Passage; er ist nichts anders als eine riesige Aufhäufung von Kalk. Die Quelle, die durch ihre unaufhörliche Arbeit diese Mauer errichtet hat, setzt ihr Werk noch stets fort und man steht sie immer durch den Felsen sickern. Um dem Pfade eine Bahn zu brechen, hat man in Zeiten, die allerdings schon sehr weit hinter uns liegen, quer durch diese Kalkablagerungen einen Gang gebrochen. Auf der linken Seite des Flusses liegt diesem merkwürdigen Ausläufer ein kurdisches Dorf [1] gegenüber, dessen solide Bauart aus Steinen an eine Festung erinnert. Es ist auf eine Terrasse mit schroffen Felsenwänden gebaut und überragt so Schlucht und Strom.

In dem Thale fand sich keine Spur mehr von Schnee; bloß die hoch über das Thal hinausragenden zerklüfteten Bergspitzen mischten in den Azur des Himmels das Weiße ihrer Schneedecken. Die Linien der Landschaft erinnerten uns an Tyrol.

Wir haben hier nicht mehr ein blätterloses Plateau vor uns wie in Armenien; hier ist das Thal mit Holz bestanden und wirklich lachend inmitten der Wildnis; die Vegetation ist in ihren Formen gänzlich fremd. Da die Bevölkerung ziemlich spärlich ist und infolge dessen das Holz als Bauholz weniger Verwendung finden kann, und zudem auch der Mangel an Wagen dem Transporte ein ungeheueres

Hindernis in den Weg legen würde, so benützen die Leute jener Gegend nur das Holz zum Heizen und zum Brennen der Kohlen, die sie bis mitten in das armenische Hochland transportieren. Alle Bäume benutzen sie nach Art der Kopfweiden.

  1. Wahrscheinlich das Dorf Parkhand.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/251&oldid=- (Version vom 1.8.2018)