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mit einem Handbeil, wird aber an der Luft hart. Er wird bei dem Baue aller Häuser angewandt, und seine regelmäßig behauenen Blöcke geben den Wohnungen einen reichen und netten Anblick. Die Fenster, die oft mit Spitzbogen versehen sind und nach der Straße zu aufgehen, trifft man häufiger als in andern Städten, wodurch das Aussehen der Straßen lebendiger ist. Leider ist dieser vulkanische Stein ein großer Wasserfreund und macht durch die aufgesogene Feuchtigkeit die Wohnungen ungesund. Auch scheint er nicht sehr widerstandsfähig zu sein; denn in der Mehrzahl der Brückenbogen bemerkt man zwischen den Steinschichten regelmäßig eingeschobene Hölzer, die ohne Zweifel Senkungen vermeiden sollen. Ein Spaziergang in die untern Viertel der Stadt ist außerordentlich angenehm. Zahlreiche Brücken von nicht allzu solider Bauart überspannen den Fluß, der durch die felsigen Ufer sehr eingeengt ist; Mühlen, kleine Moscheen, einige armenische Kirchen fassen ihn ein und beanspruchen auf diese weise jedes ebene Plätzchen. Und über unsern Köpfen bemerkten wir ebenfalls Häuser, die bald mit unbebaubaren steilen Felsen abwechseln oder aus einem Wäldchen hervorlugen und über dem Abgrunde in einer wahrhaft künstlerischen Unordnung schweben. In solchen Schluchten würde man kaum ein Dorf vermuten, vielleicht ein Pastell wie in dem Sabinergebirge oder in den Abruzzen; aber hier haben wir in dieser Schlucht eine wirkliche Stadt vor uns, die für die Türkei sehr wichtig ist, da sie ungefähr 30 000 Einwohner zählt.

Da man in der Türkei bei Volkszählungen sich nach der Anzahl der Herde richtet, so ist es unmöglich, die Zahl der Einwohner genau zu bestimmen. Das kurdische Element ist hier überwiegend, denn von den 6000 Häusern sind 5000 kurdisch und 1000 armenisch, worunter auch ungefähr dreißig katholische Familien. Die türkische Bevölkerung zählt nur gegen zwanzig Haushaltungen.[1]

Die Gründung der Stadt Bitlis durch Alexander ruht auf keiner sichern historischen Grundlage. Früher besaß die Festung allerdings eine große Bedeutung. Die Armeen Omar Paschas entrissen die Stadt den Byzantinern im Jahre 648; aber bald wurde Bitlis die Hauptstadt eines kurdischen Fürstentums. Seine Beys zogen aus dem Verfall des Khalifats wie so manche andere Nutzen und sicherten sich ihre Unabhängigkeit. Tavernier sagt in dieser Hinsicht: „Bitlis ist die Hauptstadt eines Beys oder Fürsten des Landes, die mächtigste und bedeutendste von allen, da sie weder den Großsultan noch den König von Persien anerkannt. Der Bey oder Fürst, der an diesem Orte herrscht, kann, von den unzugänglichen Orten ganz abgesehen, 20–25000 Pferde und eine Menge Infanteristen auf die Beine bringen, die sich aus den Hirten des Landes zusammensetzen, die beim ersten Kommando schon bereit stehen“.[2]

Indessen hielt es der Bey für das beste, sich der hohen Pforte zu unterwerfen, als Sultan Murad IV. im Jahre 1638 Eriwan und Baghdad den Persern entrissen

  1. In Hinsicht auf Handel ist Bitlis ein ziemlich wichtiger Platz; es exportiert eine große Menge Stoff (Baumwolle und Leinen), die alle rot gefärbt ist. Dies Färben mit Krapp ist eine Spezialität von Bitlis. In der Umgegend findet man auch eine große Menge Operment (gelber Schwefelarsenik – As2S3), der zum Gelbfärben dient. Außerdem müssen noch die reichen Kupferminen, die vor einigen Jahren zwischen Bitlis und Diarbekr entdeckt worden sind, aber nicht ausgebeutet werden, Erwähnung finden.
  2. Tavermer L. III. ch. 3.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/250&oldid=- (Version vom 22.12.2020)