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Ansicht, daß entweder unsere Katerdschis oder wir das Opfer einer Hallucination geworden seien. Da wir doch ordentlich schlafen wollten, schickten wir sie wieder zurück. Ohne vieles Fluchen gingen sie, um sich auf der Terrasse eines benachbarten Hauses niederzulassen, das am Wege lag, und jeder von uns versuchte wieder einzuschlafen, gleichzeitig auch nach der Lösung des Rätsels forschend. Während dieser Zeit schnarchte Sahto; er schnarchte, von allem Möglichen träumend, mit der süßen Genugthuung, einen lustigen Streich verübt zu haben. Sahto hatte während der Nacht sein Obdach in dem Stalle genommen. Ein Ochse, sein Nachbar, der unzufrieden war, durch das Lager Sahtos etwas eingeschränkt zu werden, fiel jeden Augenblick in das Gebiet Sahtos ein. Dieser beantwortete die Herausforderung damit, daß er den Ochsen durchprügelte. Da er aber durch die Aufregung nicht einschlafen konnte, kam ihm ein herrlicher Gedanke: „Ich schlafe nicht, und deshalb ist es auch nicht recht, daß die übrigen schlafen.“ Darauf lief er zu den Katerdschis, weckte sie auf und kündigte ihnen an, daß wir sogleich abreisen wollten, Ähapuck, Ähapuck. Dann kehrte er zu dem Ochsen zurück, der sich unterdessen etwas beruhigt hatte, und schlief den Schlaf des Gerechten. Der Streich kam bald an das Tageslicht. Niemand ärgerte sich sehr darüber; zur Vergeltung dafür empfing Sahto von seinen Reisegefährten eine ordentliche Tracht Prügel, womit die Angelegenheit beendet war.

Wir reisten um sieben Uhr ab.

Ungefähr eine Stunde lang hält sich der bald steigende, bald fallende Weg an den Felsen, die senkrecht in das tiefblaue Wasser des Sees abfallen. Die zackigen Gipfel des südlichen Ufers, die mit Schnee bedeckt waren und gar herrlich in der Sonne funkelten, vereinigen sich allmählich mit den weniger schroffen Abhängen des Nimrud-Dagh und bilden einen wunderbar schönen Golf, der sehr an das Gestade der Provence erinnert. Darauf senkt sich das Ufer und bildet einen Bogen mit graziösen Buchten. Es lag hier fast kein Schnee mehr, überall herrschte eine angenehme Wärme wie zur Herbstzeit in Italien. Am Grunde einer der Buchten findet sich eine wirkliche Oase von hundertjährigen Nußbäumen und andern Fruchtbäumen, die noch mit ihren Blättern bedeckt waren und das kleine Dorf Donus verbergen.

Bei Donus beginnt das unter der Bezeichnung Land von Akhlat bekannte Gebiet. Das Dorf selbst nennt sich Akhlat birindschi oder das erste Akhlat und soll ehemals ein Vorort dieser großen Stadt gewesen sein, wie sich denn auch manche Spuren eines frühern Glanzes finden. Die Häuser, meistens nur Überreste von Bauwerken aus Hausteinen, sind von sehr schönem Stil; die obern Etagen sind zwar zerfallen, aber die Erdgeschosse sind den Bedürfnissen der armseligen Bevölkerung angepaßt, die heute davon Besitz ergriffen hat. In dem Feld umher finden sich Ruinen von großen Bauwerken zerstreut, elegante Turbehs, fürstliche Grabmäler. An dem Ufer des Sees erhebt sich eine Festung (Nr. 1 des Planes); ein wenig weiter findet sich ein großer Kirchhof (Nr. 4). Der Pfad geht an einem wunderschönen, kreisrunden Turbeh (Nr. 3) vorbei, folgt dann der Grundlage eines ehemals befestigten Plateaus (Nr. 5) und steigt schließlich in ein tief eingeschnittenes Thal hinab. Eine sehr schöne Brücke aus einem Bogen, heute allerdings halb ruiniert, ist über dem Strom errichtet.

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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/232&oldid=- (Version vom 1.8.2018)