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seiner Aufführung hören mußte. Er suchte sich mit den Worten zu verteidigen: „Aber, Vater, ich habe doch nichts Böses gethan; ich habe doch keine Menschen (damit meinte er Christen) getötet, sondern nur Hunde (Türken).“ Der Schluß war kühn, aber nicht imstande, die Missionare zu überzeugen, die vielmehr auf ihrer Ansicht beharrten. Da Gegu ein guter Christ war, so legte er das feierliche Versprechen ab, sein Handwerk aufzugeben. Zudem hatte er auch ein Anrecht auf Ruhe; denn drei Kugeln steckten noch in seinem Körper; von denen, die er selbst ausgezogen hat, nicht zu reden.

Während seiner Reisen hatte er viel gelernt; er würde zwar in keinem Lande Aufnahme in irgend eine Akademie finden, trotzdem er russisch, armenisch, türkisch, persisch, chaldäisch, kurdisch und französisch sprach. Man kann ihm also mit Recht den Beinamen eines Gelehrten geben. Zudem war er auch ein Stück Philosoph; seine Bemerkungen hatten trotz ihrer naiven Form zuweilen einen tiefen Sinn.

Nach der Aufgabe des Räuberlebens wurde Gegu der Mann der Patres, denen er ebenso innig ergeben war als früher seinem Räuberleben. Bischof Clusel war gerade im Begriff, in Urmia eine Kirche zu erbauen, als Mohammed Abdullah die Stadt belagerte. Die Not wurde groß, und die Arbeiter verlangten ihre Bezahlung. Aber wo sollte Clusel das Geld hernehmen? Der Bankier wohnte in Tebris, und die Kurden hatten das Land inne und erpreßten und plünderten, so gut es eben ging. Damals erbot sich Gegu, das Geld herbeizuschaffen, indem er sich nach Tebris begab. Mit 1000 Tomans (ungefähr 8000 Francs) in klingender Münze beladen, kehrte er allein nach Urmia zurück, wobei er alle kurdischen Linien überschritten hatte, ohne angehalten worden zu sein. Diese That zeigt wohl am besten die Geschicklichkeit und den Mut Gegus.

Eines schönen Tages, nachdem er sich ein kleines Vermögen zusammengescharrt hatte, fühlte er sich so sehr von Ehrgeiz gestachelt, daß er die erblichen Rechte als Grundherr des Dorfes Tscharra kaufte, das zwei Stunden oberhalb Khosrawa liegt. Der Ort war gut gewählt; von da aus konnte er die Ebene beherrschen und mit seinen alten Freunden, den kurdischen Bergbewohnern in Verbindung treten. Sein Dorf selbst ist ausschließlich von Kurden bewohnt, die übrigens sehr gern die Herrschaft dieses Christen anerkennen, weil es ihnen genügt, daß ihr Herr den Nimbus eines Briganten besitzt.

Wer weiß, was die Versuchung aus unserem Manne in einer strategisch so wichtigen Stellung noch gemacht hätte? Aber man ließ ihm keine Zeit, darüber weiter nachzudenken; nachdem er Chef des Dorfes geworden war, lernte er die Langweiligkeit solcher Ehrenstellen bald einsehen.

Die Kurden nahmen gern die Oberherrschaft eines Glaubensgenossen an, zumal derselbe dem Brigantentum früher sehr nahe gestanden hatte; aber mit den Mohammedanern der Ebene verhielt es sich anders, weil sich aus diesen die persischen Beamten gewöhnlich rekrutieren. Sie wurden eifersüchtig, daß ein Christ ihr Herr sein sollte; in einem solchen Falle kommt dann leicht ein Bündnis zu stande. Bald wurde Gegu gesehen, hier rückständige Zahlungen einfordernd, dort Ergänzungssteuern reklamierend, bei jeder Gelegenheit aber Backschich heischend; durch allerlei Ränke und Sorgen gezwungen, kam er bald so weit, daß seine finanziellen Verhältnisse sehr schlecht wurden. In dieser Zeit kamen wir nach Khosrawa, und auf

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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/213&oldid=- (Version vom 1.8.2018)