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die Regierung des Zaren mit Schrecken zu erfüllen. Was thun? Ihm den Eintritt in das russische Gebiet zu verwehren, war zu unhöflich; ihm den Eintritt bewilligen, schien aber sehr gefährlich. Rußland zog sich diplomatisch aus der Klemme, indem man dem Abbé Hyvernat erklärte, daß man ihn mit großem Vergnügen aufnehme unter der Bedingung, daß er durch den Kaukasus reise, ohne sich dort aufzuhalten.

Ich führte den Titel katholischer Priester und war zudem noch verdächtig als Unterthan des Deutschen Reiches, zumal ich im Besitze eines Empfehlungsschreibens des Statthalters von Elsaß-Lothringen war. Das Schicksal meines Freundes Hyvernat merkte ich mir und entschloß mich, auf gut Glück mich aus der Affaire zu ziehen ohne die Vermittlung meiner Behörde. Unsere beiden Reisegefährten folgten meinem Beispiele. Aber kaum hatte der Lazarist Nathanael in Konstantinopel seinen Paß dem russischen Gesandten zur Beglaubigung vorgelegt, als er ihn auch eben so schnell wieder mit einer ausdrücklichen Weigerung zurückerhielt. Die Regierung des Zaren will durchaus keinen Juden in den Kaukasus reisen lassen.

Armer Nathanael! so bist du mit einem Male Jude geworden, du, der du ein Chaldäer bist und vielleicht in gerader Linie von dem Könige Nabuchodonosor deine Abstammung herleitest. Es bedurfte einer ausgezeichneten Überzeugungsgabe, um den Russen klar zu machen, daß man wohl semitischer Abstammung und im Besitze eines biblischen Namens sein könne, ohne darum Jude zu sein.

Als wir am Tage der Abreise uns trafen, waren wir von allem befreit, was auf unseren geistlichen Stand hätte schließen lassen. Wir waren vollständig als Laien verkleidet. Der Archimandrit D. war „Doktor“ geworden. Was uns betraf, Hyvernat und mich, so war unsere Metamorphose nicht so genau auseinander gehalten; in der Folge wurden wir, wenn auch gegen unsern Willen, in den Augen des Publikums der eine zu einem russischen Offizier, der andere zu einem deutschen Professor gestempelt. Die Verkleidung war uns von dem russischen Gesandten in Rom angeraten worden, als er Hyvernats Paß beglaubigte.

18.—21. August.

Heute verließ unsere Karawane Konstantinopel an Bord des Reka, eines kleinen Lloyddampfers. Der Reka, ein altes Schiffsgerippe, durchschneidet ganz sachte die Fluten. Man ist zwar daselbst nicht besonders eingerichtet, aber die Schiffsmannschaft, lauter Dalmatiner, ist liebenswürdig und zuvorkommend, gewiß ein nicht zu verachtender Vorteil. Eine nicht mehr junge Dame, die Wittwe eines persischen Diplomaten, ist der einzige Reisende in der ersten Kajüte. Ihr Name bietet die bizarre Zusammenstellung eines abendländischen Titels, nämlich der einer Komtesse mit dem alten orientalischen Namen Scheikh. Sie nennt sich Frau Komtesse Scheikh.

Die Feier des Beïramsfestes, welche nun begann, verlieh dem wunderschönen Panorama von Konstantinopel ein neues Leben. Wohin das Auge reicht, sieht man nur Festlichkeiten. Die türkischen Schiffe sind sämmtlich beflaggt, die Strandbatterien des Bosporus lassen feierliche Schüsse ertönen. Nach und nach verschwindet vor unsern Augen das bezaubernde Bild Stambuls, gleichsam in die Sonne getaucht.

Noch ehe wir Therapia passierten, kamen wir an dem Mars, einem Dampfer des Lloyd vorbei, der einige Tage vorher von einem Dampfer der Russischen

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/21&oldid=- (Version vom 1.8.2018)