Seite:Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen.pdf/173

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

einem gemauerten Wall, der sich an der Seite eines großen Pferdestalles hinzog und von diesem durch ein Geländer getrennt war.

Während des Essens verlangten wir weiteren Aufschluß; die Keilinschrift ist da, das steht fest, aber wo ist sie zu finden? Den Ort genau anzugeben sowie die zur Erreichung desselben notwendige Zeit vermag niemand; der eine schätzt die Entfernung auf Schußweite, während der andere zwei Stunden nötig zu haben glaubt, um die Inschrift zu erreichen. Ein dritter behauptet, daß man den Ausflug noch an demselben Nachmittag unternehmen könne, wogegen ein vierter einen ganzen Tag dafür beanspruchen zu müssen glaubt. Alle stimmen aber darin überein, daß ein Teil der Inschrift mit Schutt bedeckt ist. Der Boden war gefroren und mit Schnee bedeckt. Den Schutt wegzuräumen, war unmöglich, da niemand eine Hacke bei sich hatte. Indem wir aus all den sich widersprechenden Angaben das Fazit zogen, kamen wir zu der Annahme, daß die Hin- und Rückreise zu der Inschrift von Toni etwa einen halben Tag beanspruchen werde. Da wir nicht die erforderliche Kleidung bei uns hatten, um dort zu übernachten und das Wetter noch dazu sehr drohend aussah, entschieden wir uns, nach Wan zurückzukehren. Nachdem wir unterwegs noch ein heftiges Schneegestöber bestanden hatten, kamen wir also unverrichteter Sache wieder in Wan an.

Für solche Schneestürme bietet die tscherkessische Burka, deren ich eine in Wladikawkas erstanden hatte, ein gutes Schutzmittel. Es ist dies eine Art großer Mütze aus langhaarigem Filz, die bis zur Erde hinabgeht; man dreht sie immer so, daß sich die Öffnung an der dem winde entgegengesetzten Seite befindet und ist auf diese Weise vollständig geschützt.

11. November.

Andern Tags kam endlich Nathanael mit dem Reste unseres Gepäcks. Der Wali ließ uns rufen, während wir in dem Bazar waren. Er bestand darauf, daß unsere zwei Kisten in seiner Gegenwart geöffnet würden in dem großen Saale des Konaks, da er der Meinung war, nicht bloß die zwölf Kilo Pulver darin zu finden, sondern auch noch einen großen Sack mit „weißem Pulver von höchst gefährlichem Aussehen; dieses Pulver entzündet sich nicht an einer Flamme, ist also wahrscheinlich Nitroglyzerin.“ Den Beamten, die mit dem Öffnen der Kisten betraut waren, konnte man die Angst auf den Gesichtern ablesen; auf allen Antlitzen lagerte die größte Aufmerksamkeit. Alle Packete wurden mit der größten Vorsicht neben einander gelegt; kurz, die Szene versprach sehr komisch zu werden.

Als nun nichts mehr in den Kisten war, schrie der Wali: „wo sind die zwölf Kilo Pulver?“ „Jock, Effendi!“ „Es ist nichts mehr da,“ antwortete man ihm. Und wirklich, wir besaßen nicht einmal ganz die von uns angegebene Menge Pulver. Aber das Nitroglyzerin! Das war … ein kleiner Sack mit weißem Mehl, das man uns von Khosrawa aus geschickt hatte. Die Zollbeamten, die nur das bräunliche Mehl der dortigen Gegend gewöhnt waren, hatten sich bereits in den gewagtesten Vermutungen über die Natur dieses furchtbaren Produktes ergangen. Der Wali schien außer sich zu sein; er nahm eine wütende Miene an und schrie: „Man hat mich so getäuscht; diese Sache werde ich mit meinen Beamten in Baschkala abmachen. Man führe die Reisenden zur Polizei, daß ein genaues Verzeichnis ihrer Sachen aufgenommen wird, und hernach werde ich handeln!“ – Hernach

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/173&oldid=- (Version vom 1.8.2018)