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hatte, klagte er sie der Verräterei an und wird wahrscheinlich das nächste Mal die Sorge unserer Überwachung besser geschulten Leuten anvertrauen.

21. Oktober.

Ein armenischer Renegat, Simon Ferdschulian, hatte uns von Keilinschriften, die sich in der Umgebung von Wan befinden, gesprochen. Wir durften gar nicht daran denken, sie zu photographieren; aber wir suchten uns über ihre Existenz zu unterrichten, ohne die Sicherheit des ottomanischen Reiches zu gefährden. Wir veranstalteten deshalb eine kleine Expedition in der Gesellschaft Joseph Grimauds, des Aufsehers der Brücken und Straßen.[1]

Anstatt die Expedition zu Pferde zu unternehmen, ließen wir uns bereden, ein Vehikel zu gebrauchen, das den Namen Coupi trägt und uns ein Bild des Zustandes der Wagenfabrikation in Wan gab. In der Form erinnert es zwar an ein europäisches Coupe, besitzt aber nicht einmal Fenster; diese sind durch kleine Bretter ersetzt, die nicht einmal gerade sind. Auch ist keine einzige Thüre in richtigem Zustande. Zu einem uns unbekannten Zwecke hat man auch abschüssige Sitze an gebracht. Die Federn haben alle erdenklichen Formen und bestehen mehr aus Kordel als aus Metall. Aber dies ist noch nichts gegen das Pferd auf der rechten Seite. Schon seit der Abfahrt zeigte es seine Unzufriedenheit durch heftige Hufschläge; trotzdem erreichten wir, so gut es eben ging, das Dorf Sirket (Sigke). Dort fanden wir zwei Reste von Keilinschriften am untern Ende zweier Gesimse an der Thüre, die zu der Vorhalle der Kirche führt. In der Vorhalle selbst findet sich noch ein Rest zu ebener Erde. Alle drei sind gut erhalten und zeigen schöne Züge. Der Hintergrund einer Nische zur rechten Seite der Thüre trägt ebenfalls eine Inschrift, die leider sehr verstümmelt ist. Die Kirche selbst ist alt.

Am Ausgang des Dorfes beherrscht der Weg eine kleine Schlucht. Unser berühmtes Pferd, das gerade solche Plätze wählte, um seine Widerspenstigkeit zu zeigen, zwang uns mehrere Male, aus dem Wagen zu steigen, so daß wir es schließlich vorzogen, unser Gefähr im Stich zu lassen und uns auf einer Büffel-Arabah einzunisten, die sich gerade in unserem Bereich befand; auf diese Weise kamen wir zwar langsamer voran, aber doch wenigstens sicher.

Die Arabah ist ein zweiräderiger Wagen von der denkbar einfachsten Beschaffenheit; die zwei Räder sind hölzerne Scheiben und bilden ein Ganzes mit einer schweren hölzernen Achse; das Rahmengestell der Arabah liegt auf der Achse ohne irgend eine Unterlage als Äste von Weiden, die sich durch das Reiben abnutzen.

In dem Maße, wie wir höher kamen, gab die dunkle, felsige Masse des Warak, der sich an unserer rechten Seite erhob, der Landschaft ein sehr wildes Aussehen. Das Dorf Tschorawantz oder Tsorawank blieb zu unserer Rechten liegen. Ehe wir in Deïrmankjöï ankamen, packten wir unsern Mundvorrat bei einer Quelle mit gutem, frischem Wasser aus. In Deïrmankjöï fanden wir in dem kleinen Hofe eines Bauernhauses auf einem runden Stein, der früher wahrscheinlich als Fuß

  1. Joseph Grimaud war aus der Provence gebürtig. Er verbrachte seine Zeit in Wan als Aufseher der Brücken, die nicht existierten, und der Straßen, die noch nicht da waren. Nachdem er sich mit einer Dame aus Konstantinopel verlobt hatte, wollte er sie im Jahre 1889 in Trapezunt abholen. Nachdem er hier angekommen war, starb er am 11. August plötzlich an einem Blutsturz. Am Tage nach seinem Begräbnis kam seine Braut an.
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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/161&oldid=- (Version vom 1.8.2018)