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Formalität geschildert; einige sogar warnten uns vor denselben, indem sie – die Briefe – mehr eine Gefahr als eine Hilfe bedeuteten, da dadurch zu sehr die Aufmerksamkeit der mißtrauischen türkischen Beamten geweckt würde. Deshalb hatte ich auch davon abgesehen und meine Freunde gebeten, mir einen Teskereh oder einen Paß zu verschaffen, der für eine Reise nach dem Innern der Türkei unerläßlich ist.

Hyvernat hatte seine Briefe durch den französischen Gesandten verlangt. Als wir Konstantinopel verließen, waren sie noch nicht fertig, und das eben begonnene Beïramsfest drohte, die Sache zu sehr in die Länge zu ziehen. Hyvernat entschloß sich deshalb abzureisen und glaubte dem Versprechen, daß man ohne Verzug die Briefe nach Tiflis schicken werde. Trotz der Dauer unseres Aufenthaltes in Rußland war nichts angelangt, und schon befanden wir uns auf türkischem Gebiete, ohne die Papiere zu besitzen. Im Grunde genommen waren sie also auch entbehrlich, da wir ja jeder mit einem Teskereh ausgerüstet waren.

Aber da wir es mit mißtrauischen Leuten zu thun hatten, gab der russische Konsul meinem Begleiter Hyvernat den Rat, dem Gesandten zu telegraphieren, ihm die Thatsachen auseinander zu setzen und den russischen Schutz zu verlangen.

Für mich war die Sache noch verwickelter. Ich konnte nicht daran denken, mich an den deutschen Gesandten zu wenden; bei unserm Aufenthalt in Konstantinopel hatte ich zwar versucht, ihn in seiner Residenz in Therapia zu besuchen, aber ihn niemals zu Hause getroffen. Er kannte mich also nicht. Um das Maß voll zu machen, hatte ich nicht einmal mehr meinen Paß. In dem Wirrwarr bei unserer Abreise von Tiflis war er liegen geblieben. Glücklicherweise hatte ich eine besondere Empfehlung des französischen Gesandten beim Heiligen Stuhl erhalten. Ich konnte mich darauf berufen und, indem ich so viel als möglich in den Hintergrund trat, als Sekretär der Sendung Hyvernats figurieren.

Gewöhnlich ist eine Sache oft nicht so schlimm, als es beim ersten Blick erscheint; hier aber lagen die Verhältnisse anders. Bei den gespannten Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland würde der deutsche Gesandte ohne Zweifel die Protektion des englischen Konsuls der des russischen vorgezogen haben, was unter den obwaltenden Verhältnissen mit unserer Auslieferung an den Wali ziemlich gleichbedeutend war, denn kraft der Instruktionen seiner Regierung ist der Vertreter Ihrer Majestät der Königin von England in Wan nur der erste Diener des türkischen Gouverneurs. In persönlicher Einsicht ist der englische Konsul sehr liebenswürdig und scheint sich der erbärmlichen Rolle, die er infolge des Befehles des Auswärtigen Amtes spielen muß, zu schämen; aber er ist als Beamter gezwungen, sich zu beugen, und falls er sich irgendwie stolz zeigen würde, wäre eine Desavouierung ganz sicher.

Hyvernat telegraphierte also ohne Aufschub dem französischen Gesandten.

Der russische Konsul Kolubakin verbrachte den Abend bei uns. Seine Unterhaltung ist ebenso unterhaltend als belehrend; er ist lange Zeit hindurch Konsul an der chinesischen Grenze gewesen und war deshalb auch imstande, uns manche interessante Einzelheiten über die Bewohner des Himmlischen Reiches zu geben, dessen starke Ausdehnung sich durch eine friedliche Einwanderung in die Nachbarländer zeigt. Nach seiner Meinung bildet China für die Zukunft eine große Gefahr für die Nachbarstaaten (?).

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/155&oldid=- (Version vom 1.8.2018)