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sich das Thal von Coschab wieder, bietet aber von da ab wenig Interessantes. Eine Gewitterschwüle erschwerte den Marsch sehr, weshalb unsere ganze Gesellschaft in eine kleine Unordnung geriet. Zur linken ließen wir Hindostan liegen, überschritten ein Hügelland und gelangten schließlich zu dem kleinen armenischen Dorfe Norkiegh, das in einem Seitenthale des Coschab liegt. Das Dorf selbst ist schmutzig; indes fanden wir ein ziemlich anständiges Haus, wo wir etwas ausruhen konnten.

Gleich nach Mittag setzten wir uns wieder in Bewegung, um den Paß von Warak zu ersteigen. In dem Maße, wie wir uns dem Gipfel näherten, zog auch das Gewitter drohend näher; deshalb trieben wir unsere Pferde zur Eile an und legten eine gute Strecke im Galopp zurück. Da erblickten wir ganz unerwartet das Ende des Sees von Wan vor uns. In der Ferne erhob sich die imposante Masse des Sipan-Dagh, während sich zu unseren Füßen ein grüner Fleck ausbreitete, nämlich Wan mit seinen Gärten. Die Erscheinung dauerte nur einen Augenblick, da brach ein Sturm los und hüllte den Berg mit einem leichten Mantel von Schnee ein.

Beim Eintritt in die Ebene trafen wir den Pater Duplan, einen Dominikaner-Missionar von Wan, den wir durch eine Depesche von unserer Ankunft unterrichtet hatten, und der die Liebenswürdigkeit besaß, selbst zu unserem Empfange zu erscheinen.

Der Anblick der Ebene von Wan ist entschieden viel großartiger als der der Ebene von Urmia. Das gebirgige Thal, das wir verließen, bildet eine Art Einfassung. Schöne Gebüsche tragen zur Belebung der Landschaft bei. Von hier aus gesehen, erscheint das Wasser des Sees in einem metallischen Glanze, ähnlich dem des frisch gehärteten Stahls. Endlich ist die Landschaft noch durch den Sipan-Dagh abgeschlossen. Zwar kann dieser mit dem Ararat gewiß nicht wetteifern, dessen Linien mehr abgerundet sind und mit dem schneebedeckten Gipfel den Hintergrund eines wahrhaft schönen Landschaftsbildes abgeben. Aber das ganze Becken von Wan ist bezaubernd durch die Anmut seiner Umrisse. In Urmia fragt man sich unwillkürlich, warum der See gerade dort ist. In Wan dagegen bildet der See den Hauptteil des Landschaftsbildes.

Als wir an einem Bache, nahe beim Eintritt in die „Gärten“ angelangt waren, sahen wir plötzlich den Weg durch eine Bande Gendarmen versperrt, die uns erwarteten; der Unteroffizier forderte uns auf, ihm zum Hekümeht (Bureau des Gouverneurs) zu folgen. Wir wollten ihm unsere Papiere zeigen, aber er antwortete uns, daß ihn die Papiere nichts angingen, und daß er nur den Befehl habe, uns dem Polizeichef vorzuführen.

Einem solchen unqualifizierbaren Verfahren, das einer Verhaftung ziemlich ähnlich sah, weigerten wir uns einfach zu gehorchen und erklärten den Gendarmen, daß sie Gewalt anwenden müßten. Sofort schickte Pater Duplan seinen Diener im Galopp zum russischen Konsul, um ihn von dem Vorfall zu unterrichten. während wir so auf unsere Verteidigung bedacht waren, zogen die Gendarmen allmählich andere Saiten auf. Sie drückten uns ihr persönliches Bedauern aus, daß sie zu solch seltsamen Verrichtungen kommandiert worden seien, und wollten warten, ob ihnen die Ausführung des Befehls vielleicht erspart bliebe. Vor einer Gewaltthat haben sie Furcht, weil wir Europäer sind und vielleicht mit der Unterstützung unserer Regierung reisen. Wenn man uns verhaften und dann gezwungen würde, uns

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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/151&oldid=- (Version vom 1.8.2018)