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wurde.[1] Unternehmend, mutig, aber durch sein Gepäck zu viel Aufsehen machend und dazu den großen Herrn spielend, versuchte er zu sehr die kurdische Begierlichkeit. Nachdem er Dschulamerik – der erste in diesem Jahrhundert – besucht hatte, wurde er durch den kurdischen Anführer, der sich zu seinem Führer angeboten hatte, heimtückischer Weise ermordet. Sein tragischer Tod vermehrte noch den schlechten Ruf des Landes; die Bewohner desselben witterten in jedem Europäer einen Rächer für den begangenen Mord und hielten deshalb lange Zeit ihre Berge dem Eindringen der Europäer verschlossen.

Bald dreht sich der Pfad nach Westen, und wir verloren das Thal des Zab aus den Augen. Unsere persische Tscherwadare sind wahre Faulenzer; während der eine ein Kind ohne jegliche Erfahrung ist, raucht der andere leidenschaftlich Opium. Um sie in Gang zu bringen, mußten wir zu Knutenhieben greifen und hatten so noch einmal Gelegenheit, die absolute Wirkung dieses Mittels auf die Perser konstatieren zu können. Von dem Moment an wurden die Leute sehr gelenkig und pünktlich; aus Brummbären und Murrköpfen wurden sie heitere, lachfrohe Menschen.

Nachdem sich der Pfad um den Bergausläufer gewunden, steigt er in das Thal von Tschuk und überschreitet den Fluß eine Strecke unterhalb des Dorfes. Alsdann beginnt eine steile Partie bis zu der Paßhöhe, die das Becken des Zab von dem geschlossenen Becken des Wansees trennt. Wir erreichten den Beginn des Passes gleich nach Mittag. Hier wollten wir frühstücken und uns an den reichlichen Vorräten, mit denen Iskender-Effendi uns versorgt hatte, gütlich thun. Aber welche Täuschung! Die Dienstboten Iskenders hatten während der Nacht ungefähr alles aufgezehrt, so daß uns nichts blieb als einige Stücke schlecht gebackenes Brot, drei oder vier Zwiebeln und paar Hammelknochen, deren Reinigung von Fleisch aber auch schon eine vollendete Thatsache war. Wir mußten uns zufrieden geben. Wir zerbrachen die Knochen, um gleich wirklichen Troglodyten das Mark zu verzehren, und setzten dann unsern Weg fort, freilich sehr wenig gestärkt.

Wir erreichten den Paß gegen 1½ Uhr. Seine Höhe beträgt nach Angabe unserer Barometer 2780 Meter, während Binder dieselbe auf 3200 angiebt.

Beim Beginn des Passes stand ein Posten Zabtiehs; zwei von ihnen wollten uns um jeden Preis begleiten, da sie Gefahr für uns fürchteten. Gegu, der das Land am besten kannte, riet uns, die Begleitung anzunehmen, und wir folgten seinem Rate. Diese ganze Gebirgspartie hat Überfluß an dem Anscheine nach schieferhaltigen Felsen, die in allen möglichen Farben erglänzen: rot, grün, schwarz, grau. Das Terrain ist zu einem Hinterhalt wie eigens geschaffen. Im Winter häuft sich bei dem Paß eine große Menge Schnee auf. Auch ist der Weg von großen Steinen abgesteckt, die dem Reisenden dann als Wegweiser dienen sollen.

  1. Grant und Ainsworth bezeichnen Kalai-Kerari als Ort der Ermordung des Schulz. Das Zeugnis Grants, eines methodistischen Missionars, der kurze Zeit nach der Ermordung in Urmia ankam, dürfte von großem Werte sein. (Grant, the Nestorians, chap. IX. – Ainsworth II. 294).
    Ritter giebt in seiner Erdkunde IX. 647 als wahrscheinlichen Schauplatz des Verbrechens die Umgebung von Arsa-Atis, einige Stunden südlicher an. (cf. Willbrock’s letter in the journal of the Royal Asiatic Society. March 1834. No. 1, p. 134–137).
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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/149&oldid=- (Version vom 1.8.2018)