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Ganze bildet ein pyramidenförmiges Gerüst, das mit Flechtwerk bedeckt ist, worauf sich eine ordentliche Schicht Stampferde befindet. Die Spitze des Daches ist offen in einer Weite von ungefähr zwei Fuß. Diese Öffnung dient zugleich als Fenster und Kamin.

Das Haus enthält noch einige andere bewohnbare Räume; aber diese sind von dem Steuerempfänger in Beschlag gelegt, der in das Dorf gekommen ist, um die Leute zu schröpfen. Dieser ehrenwerte Beamte litt am Fieber und verlangte sofort unsern Rat. Man behauptet (siehe Ritters Erdkunde IX, 746), daß, sobald im Herbste die Nächte anfangen kühler zu werden, die intermittierenden Fieber in ganz Kurdistan herrschen, worunter wir aber niemals zu leiden hatten.

Die ganze Familie wohnt in dem großen Zimmer; uns trat man eine der langen Seiten desselben ab; zu unserer Seite ließen sich die Männer nieder; uns gegenüber erhielten während der Nacht die Frauen und Kinder ihre Stelle; endlich, um das Bild zu vervollständigen, ließ sich mit den Kindern eine Herde kleiner Ochsen friedlich in dem Zimmer nieder. Aus der Mitte dieser ländlichen Bewohner machte sich bald ein scharfer Geruch bemerkbar. – Diese Abende besitzen auch einen Zauber, wenn man nach den Mühen des Tages den Thee im Kreise der alten Leute des Dorfes trinkt, die kommen, um den Fremden ihre Ehrerbietung zu bezeugen und zugleich ihre Neugierde zu befriedigen. Es sind kräftige, freie Gestalten, von Natur aus Räuber. Sie beobachten den Fremden mit großer Neugier, würdigen ihn auch zuweilen einiger Fragen und antworten, wenn er etwas fragt, in Rätseln. Bei dem flackernden Scheine des Herdes, wenn der sich mit aller Gewalt auf drängende Schlaf dem Reisenden nur mehr eine halbklare Erkenntnis der Sachen läßt, nehmen diese fremden Silhouetten, die ab und zu einige Worte mit halblauter Stimme wechseln, in ihrer Unbeweglichkeit und Geringschätzung einen phantastischen Anstrich an, und gerade dieser Traum im Zustande des Halbwachens läßt dem Reisenden angenehme Erinnerungen zurück.

Aber gerade die Höflichkeit dieser Bergbewohner wird zuweilen lästig. Sie blieben ruhig auf ihrer Stelle, selbst als wir uns hinlegten und schnarchten. Anfänglich war uns dieses selbstverständlich lästig; für die Folge wurden wir aber daran gewöhnt, uns in ihrer Gegenwart anzukleiden, ohne uns um die Leute weiter zu kümmern.

2. Oktober. Abreise um 7 Uhr morgens.

Der Hausherr begleitete uns bis zur türkischen Grenze, die er aber nicht überschritt, wenigstens nicht auf dem gewöhnlichen Wege, weil er eine Martiniflinte trug, die aus der türkischen Armee stammte und die ihm am Zollamte konfisziert worden wäre.

Die Grenze durchschneidet das Thal von Baradost, nachdem man kaum eine halbe Stunde im Gebirge ist. Der Grenzposten von Basirka befindet sich eine Stunde vor dem Thale. Dieses ist nackt und bietet durchaus nichts Interessantes, wohl aber ein günstiges Terrain zu Diebesherbergen.

Ehe wir uns von unserm Gastwirt in Giangetschin trennten, kaufte ich von ihm für vierzehn Toman (ungefähr achtzig Mark) sein Pferd, ein dreijähriges Füllen. Es war von guter Rasse, aber ein wenig müde, da es in vierzehn Tagen keinen Stall gesehen hatte. Zur Erinnerung an sein Heimatland gab ich ihm den

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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/140&oldid=- (Version vom 1.8.2018)