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Ungefähr eine Stunde westlich von Khosrawa findet sich die kleine Stadt Salmas, im Volksmunde gewöhnlich die alte Stadt genannt. Sie war ehemals der bedeutendste Punkt der ganzen Gegend, die auch von ihr den Namen erhalten hat.

Zur Zeit der größten Ausdehnung des Königreiches Armenien waren die Gegenden, die heute zu Aderbeidschan gehören, Teile dieses Königreiches, und der Kanton Salmas gehörte zum Fürstentum Persarmenien, wovon Salmas die Hauptstadt war. Ihr Alter reicht wahrscheinlich in das dritte Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Sie war eine der ersten Städte, die sich zum christlichen Glauben bekannten, und auch heute noch finden sich in dem Gebiete von Salmas verhältnismäßig die meisten Christen in ganz Persien.[1] Die Armenier des Kantons sind meistens Schismatiker, während die Chaldäer fast alle Katholiken sind.

Diese teilten früher den Glauben der schismatischen Nestorianer; aber im achtzehnten Jahrhundert kehrten sie durch die Bemühungen eines jungen Chaldäers aus Diarbekr wieder zur katholischen Kirche zurück. Dieser hatte sich bei den Dominikanern in seinem Vaterlande bekehrt. Er war Färber und überstieg die Berge von Kurdistan, um sich in Khosrawa Arbeit zu suchen. Obgleich er selbst ungebildet war, wurde er doch bald durch seinen Eifer und die Heiligkeit seines Wandels der Apostel der dortigen Einwohner. Seine Belehrungen und noch mehr sein gutes Beispiel bewirkten deren Bekehrung. Zu diesen Neubekehrten gesellte sich bald ein Witwer, der mehr Bildung besaß. Dieser sollte der geistliche Vater der neuen Gemeinde werden. Deshalb wurde er zu dem Patriarchen von Mosul geschickt, damit dieser ihm die heiligen Weihen spende. Nachdem er zurückgekehrt war, diente sein Haus den Katholiken zur Kapelle. Die Unduldsamkeit der Nestorianer, in deren Mitte sie lebten, zwang die Katholiken, die Sache geheim zu halten; dieses gelang ihnen auch vollständig, und in den nächsten zwanzig Jahren konnte sich die neue Gemeinde befestigen und auch noch weiter ausbreiten, ohne daß die Andersgläubigen etwas davon erfuhren. Endlich entdeckte der nestorianische Bischof Mar Isaias das Geheimnis und wurde von diesem Wechsel so betroffen, daß ihm selbst die Augen aufgingen; er ging nach Akhaltsikhe, schwor seinen Irrtum ab, legte in die Hände der Missionäre das Glaubensbekenntnis ab und kehrte dann nach Khosrawa zurück, um den Rest seiner früheren Glaubensgenossen noch zu bekehren.[2]

Die Mission von Khosrawa wurde durch die Lazaristen im Jahre 1844 gegründet. Von ihrem Ursprung wird bei der Erwähnung der Mission von Urmia noch erzählt werden.

Die Gebäulichkeiten der Lazaristen liegen um den Platz des Dorfes herum, nahe bei der chaldäischen Kirche. Wie jede orientalische Wohnung, deren Leben sich mehr auf die Thätigkeit im Innern erstreckt, bieten auch diese Gebäulichkeiten von außen nur den traurigen Anblick einer großen Mauer aus Stampferde. Sobald

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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/106&oldid=- (Version vom 1.8.2018)
  1. Das Land von Salmas wurde 1828 von den Russen besetzt. Diese Besetzung hat tiefe Erinnerungen in dem Lande gelassen. Die Greise, die man nach ihrem Alter fragt, antworten gewöhnlich, daß sie so viel Jahre „vor den Russen“ oder „nach den Russen“ geboren sind. Paskiewitsch versetzte der Wohlhabenheit des Landes einen schweren Schlag, indem er mehrere Tausende armenischer Familien nach Rußland schleppte.
  2. Boré, Correspondance II. 256.