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Hals schließendes Kleid – sie entblößte ihre Schultern nie – und reichen Schmuck von Diamanten und Perlen, dazu ihre brennenden Lippen und glühenden Augen. Es machte den Eindruck, als ob eine Flamme aus einer Hülle von Eis und Schnee herauslodere.

Auf dem Kopf trug sie einen jener phantastischen Kränze, mit denen sie sich zu schmücken liebte, und den sie diesmal aus buntem Herbstlaub und weißen Rosen zusammengeflochten hatte. Sie bot ein eigentümlich fesselndes Bild, dennoch merkten alle Anwesenden, daß etwas an ihr anders war als gewöhnlich.

Der Oberst von Stahl, welcher natürlich zur Tafel geladen worden war, wurde sich am raschesten darüber klar, was es war, das sie heute gegen sonst veränderte. Über den Tisch hinüber konnt er’s feststellen, daß sie sich stark geschminkt hatte. Und als er nach Tisch an ihr vorüberkam, rein zufällig, denn ihm war’s nicht darum zu thun, sich mit einem lügnerischen Glückwunsch an sie heranzudrängen, fiel ihm noch ein andrer Umstand unangenehm auf, daß sie nämlich von einem geradezu erstickenden Dunst der stärksten indischen Wohlgerüche eingehüllt war.

Und durch all diese Wohlgerüche drang etwas Entsetzliches, Schauerliches, ein ganz schwacher, aber deutlich wahrnehmbarer Leichengeruch.

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Ossip Schubin: Vollmondzauber. Stuttgart: J. Engelhorn, 1899, Band 2, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vollmondzauber.djvu/276&oldid=- (Version vom 1.8.2018)