Schlafzimmer zurück. Kaum, daß er sich auf seinem eisernen Bett ausgestreckt hatte, fielen ihm die Augen zu. Er träumte von „zu Haus“, von Annie Binsky, von der Zukunft, von seinem Hochzeitstag.
Der Frühling duftete aus Bäumen und Sträuchern, und in der Luft war ein großes, feierliches Glockengeschwirr, und Annie ging neben ihm in einem weißen Kleide und mit einem Kranz auf dem Kopf. Sie sagte ihm etwas Liebes, aber er konnte nicht genau verstehen, was – die Glocken schwirrten zu laut.
Er ärgerte sich über die Glocken, eine von ihnen war gesprungen, das hörte er ganz deutlich, es brachte einen Mißklang in die dröhnende, schwirrende Feierlichkeit. Die Glocken riefen ihm etwas zu, einen Namen. Jetzt vernahm er es deutlich, immer denselben Namen, immer denselben: „Gina Ginori, – Gina Ginori!“
Und dann schwiegen die Glocken, und durch die stumme Frühlingsnacht glitt etwas Eigentümliches, ein rätselhafter Laut, leise, wie aus weiter Ferne, dann näher, immer näher. Eine seltsame Melodie, ein Lied ohne Worte, mit einer immer wiederkehrenden chromatischen Figur, in viertel, nicht in halben Tönen – magisch, aufreizend, unabweisbar, anlockend …
Näher … ganz nah, er hörte etwas wie ein leises Pochen an seiner Fensterscheibe. Endlich öffnete er die Augen. Sein Zimmer war voll matten Silberglanzes
Ossip Schubin: Vollmondzauber. Stuttgart: J. Engelhorn, 1899, Band 1, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vollmondzauber.djvu/102&oldid=- (Version vom 1.8.2018)