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Meter lang nehmen. Diese Proportionen kann man also zeichnerisch nicht anders als ganz unrichtig wiedergeben. Daß sich aber die Phantasie im Lobatschefskijschen Raume ebenso frei betätigen kann, wie im Gebiete der euklidischen Geometrie, weiß jedermann, der sich eine Zeitlang mit der nichteuklidischen Geometrie beschäftigte. Im Anfange sucht man sich wohl das Ungewohnte jener Geometrie mittels irgendeiner euklidischen Interpretation klarzulegen, man kommt aber bald auch ohne einer solchen Hilfe aus.

Aus demselben Grunde wie für die nichteuklidische Geometrie hat man auch für die Relativtheorie einige geometrische Interpretationen vorgeschlagen. Auf die formelle Identität dieser beiden Gebiete habe ich schon bei früheren Gelegenheiten hingewiesen. Darum wird man wohl kaum fehlgehen, wenn man auch für die Relativtheorie dasjenige gelten läßt, was Engel über die nichteuklidische Geometrie ausgesagt hat, nämlich: „Und noch heute hat jeder, der sich in die von Lobatschefskij geschaffene Geometrie einarbeitet, gewisse Schwierigkeiten zu überwinden: er muss viele alte, gewohnte Vorstellungen, die er aus der Euklidischen Geometrie mitbringt, über Bord werfen, einige Zeit lang ist er stets in Gefahr rückfällig zu werden und glaubt in der neuen Geometrie Widersprüche zu finden, die in Wahrheit nicht vorhanden sind und die sich bei näherm Zusehen in Nichts auflösen“.

Es ist hinlänglich bekannt, welchen Schwierigkeiten das Problem der Rotation des starren Körpers in der Relativtheorie begegnet hat. Die erste von Born gegebene Definition der Starrheit hat sich als zu eng erwiesen, indem es sich herausgestellt hat, daß ein in jenem Sinne starrer Körper nur drei Freiheitsgrade besitzen würde. Auf Grund derselben Definition ist Ehrenfest bei der gleichförmigen Rotation des relativstarren Körpers zu dem bekannten Widerspruch gekommen. Darum hat Born versucht, eine neue Definition der Starrheit aufzustellen, die eine große Analogie mit der gewöhnlichen Starrheit aufweist[1]. So z. B. hat der starre Körper sechs Freiheitsgrade, wie in der klassischen Kinematik. Aber es haben sich auch andere Schwierigkeiten eingestellt. Bei der gleichförmigen


  1. Nachrichten der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Math-phys. Klasse. 1910.
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Vladimir Varićak: Bemerkungen zur Relativtheorie. Bulletin des travaux de la classe des sciences mathématiques et naturelles, 1914, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:VaricakRel1914a.djvu/14&oldid=- (Version vom 1.8.2018)