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Herr Rießer kam zum Vorparlamente drall und stramm genährt von kernigem Hamburger Rindfleische, von Seefischen und Caviar – er sprach mit Begeisterung für das allgemeine Stimmrecht. Er lebte längere Zeit in Frankfurt schwabbelig und wabbelig von Brühfleisch, Gänsleberpasteten und anderen geléeartig-zitternden Substanzen, von welchen die Frankfurter Küche überströmt – war es ein Wunder, daß er von Zittern und Furcht über die Zukunft des Staates befallen wurde, und nun gegen seine frühere Ansicht sprach? Er mußte es thun, seine durch die Frankfurter Nahrung veränderte Gehirnsekretion zwang ihn gebieterisch zu einer sogenannten Gesinnungsänderung! Wer will den Einfluß berechnen, welchen Austern und Champagner, vom Fürsten Lichnowsky geboten, auf den ausgehungerten, ausgedörrten Körper des Berliners Wilhelm Jordan hatten? Woher die vielen Klagen der Wahlbezirke, die Männer von ganz anderer Gesinnung gewählt zu haben glaubten, als sie nachher sich in Frankfurt zeigten? Diese Ehrenwerthen waren keine Ueberläufer, keine Schwachen, welche allenfalls durch Droysen oder Biedermann sich beschwatzen ließen – nein! die veränderte Lebensweise in Frankfurt änderte ihre Hirnsekretion und sie dachten in der That jetzt anders, als sie bei der Wahl gedacht hatten, während die Wähler, in denselben Verhältnissen verbleibend, stabil bei derselben Nahrung und denselben Gedanken verblieben und nun über Abfall, Täuschung, Verrath ihres Abgeordneten bittere Klagen erhoben.[1]


  1. Die wenigen Grundsätze, welche hier ausgesprochen wurden, haben im Laufe der Zeit mannigfache Bestätigung erhalten. Ich erwähne nur einer brillanten Versuchsreihe. Mit fieberhafter Spannung, [25] mit jener sorgsamen Angst des Vaters, der sein geliebtes Kind am Rande eines Abgrundes gehen sieht, in den es jeden Augenblick hinabstürzen und sich zerschmettern kann, um nimmer wieder sich zu erheben, mit diesen gemischten Gefühlen von Sorge, Kummer und freudiger Hoffnung folgte der Verfasser den Schritten des Herrn Rießer aus der Ferne. Herr Rießer war gewissermaßen die geheimnißvolle Phiole, in welche des Verfassers Hirndestillat, das er seine Theorie genannt hat, gebannt war – gebannt zu gemeinsamem Fortschreiten durch die Wandelgänge deutscher Politik, erfurtischer Unionswirrgänge und holsteinisch-kurhessischer Ordnungsherstellungen. In Herrn Rießer hatte die Theorie einen ihrer Enormität entsprechenden Körper gefunden. Mit fieberhafter Hast riß der Verfasser die Zeitungen an sich – er las sogar die selig entschlafene Deutsche mit Interesse – Herrn Rießer suchte sein Blick in jenen hohlen Spalten, in jenen Erbgrüften der Edelsten, aus denen die trüben Jammerrufe der lebendig Begrabenen hervorunkten. – Und herrlich trug das Gefäß seinen kostbaren Inhalt durch jene Feuerproben hindurch. Zerwalkt, zerknetet, innerlich haltungslos, schnödem Gallerich oder Oken’schem Urschleime gleich, war Herr Rießer zuletzt ein bedeutungsloser Teig in den Händen des duftenden Zuckerbäckers Biedermann geworden. – Schrecklicher Einfluß der Frankfurter Küche! Aber Herr Rießer entfernte sich nach Hamburg. Kaum waren Rindfleisch, Kaviar und [26] Seefische, in genügender Quantität absorbirt, in seine Circulation übergegangen und seinem erschlafften Körper assimilirt, als Herr Rießer wieder drall wurde und aus der Tiefe seines Magens aufs Neue revolutionäre Dünste aufstiegen. Bald hatten sich diese so sehr verdickt und das Gehirn eingenommen, daß der Edle Anfangs sich weigerte, nach Erfurt zu gehen. Die Uebersendung einer Pastete von Hornau bestimmte den Entschluß. In Erfurt trat er auf, wie im Vorparlamente, kühn, radikal, begeistert, revolutionär. Die Festungskost schwächte etwas die Wirkung der Hamburger Nahrung in ihrer Nachhaltigkeit – das Experiment dauerte leider, trotz der verzweifelten Kunstvorstellungen des preußischen Cagliostro’s, nicht lange genug, um aufs Neue zu jenen Resultaten von Frankfurt zu führen – aber der eingeschlagene Weg ließ sich schon deutlich erkennen. Herr Rießer wurde von der Festungskost erlöst und dem Hamburger Rindfleische wiedergegeben – seit einem Jahre genießt er es wieder – täglich und reichlich – und aufs Neue glänzt er als mächtiger Stern an dem schwach gefärbten Himmel deutscher Opposition, feurige Strahlen schießend gegen diejenigen, welche die Einheit und Größe des Vaterlandes durch rettende Thaten verretteten. O Göttin der Freiheit! Erhalte uns dieß Objekt wissenschaftlicher Beobachtungen noch lange bei wechselnder Nahrung, damit die Theorie eines deiner Jünger nicht an ihm zu Schanden werde!
    Späterer Zusatz.     
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Carl Vogt: Untersuchungen über Thierstaaten. Literarische Anstalt, Frankfurt am Main 1851, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Untersuchungen_%C3%BCber_Thierstaaten-Carl_Vogt-1851.djvu/42&oldid=- (Version vom 1.8.2018)