sich nicht festhalten. Kriegsrath! Sie unterhalten sich mit den Fühlhörnern über die Schwierigkeiten der Lage. Plötzlich erscheint eine ungewöhnlich große Ameise. Zwei Genossen stellen sich fest zusammen, sie steigt auf ihren Rücken, hebt sich auf den Hinterbeinen senkrecht in die Höhe – endlich, nach unsäglichen Anstrengungen gelingt es ihr, mit einem Fühlhorne und einem Vorderfuße ein vorragendes Spähnchen zu umklammern. Sie hält sich fest, schwingt sich auf – sie hat den Pfosten erobert! Der Instinkt würde die Siegerin fortgetrieben haben nach den Honigwaben der Monarchisten – aber unsere Ameise war Socialist im Sinne des Hrn. Druey, eidgenössischen Bundesrathes; – sie wollte und übte (in Letzterem verschieden von Hrn. Druey) die Unterordnung des Individuums unter das Ganze. Unsere Ameise blieb sitzen, sie klammerte sich fest mit ihren sechs Beinen und streckte den Hinterleib und den Kopf mit den Fühlhörnern so weit nach unten als möglich. Die Ameisen im Sockel packten mit ihren Fühlhörnern die ihrigen, hackten sich an, schwangen sich auf und marschirten so, ein Mann hoch, über die lebende Brücke auf den Pfosten und weiter in’s Innere des Bienenhauses. Mein Freund wollte die kühnen Vorkämpfer zerquetschen, ich hielt ihn zurück. „Laß sie,“ rief ich, „sie haben mehr Verstand als wir!“
Man muß Jemanden nicht tödten, der freiwillig für das allgemeine Beste hungert. Der Mord jener Ameise wäre mir in diesem Augenblicke wie ein Verbrechen an der Menschheit erschienen.
Ich dachte lange und oft über diese Beobachtung nach und ich hielt andere mit ihr zusammen. Ich fand die Lösung des Räthsel’s vom Verstande. Das Microscop hat den
Carl Vogt: Untersuchungen über Thierstaaten. Literarische Anstalt, Frankfurt am Main 1851, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Untersuchungen_%C3%BCber_Thierstaaten-Carl_Vogt-1851.djvu/38&oldid=- (Version vom 1.8.2018)