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Weiber besonders dem gewöhnlichen Volke diese Lüge so lange glauben machten, bis dieses sich durch eigene Erfahrung vom Gegentheil überzeugte[1]; die spinnenartigen Kothwanzen, welche Tags über in Kehricht und Dünger sich einwühlen, ihren Rüssel schleifen und Abends hervorkriechen, eingehüllt bis an die Augen von Kehricht, Staub, Wolle, Federn und Haaren, um unerkannt durch dunkle Gäßchen sich hinschleichen zu können zu Bierfässern und Mostbottichen, und dort vaterländischen Gerstensaft zu schlürfen[2]; die Kellerasseln, Krabben und Springkäfer, ja sogar die Heulaffen und Gürtelthiere, die Bettwanzen und Sandflöhe, alle diese nächtlichen Thiere, die nur in der Dunkelheit sich hervorwagen und im zweifelhaften Lichte des bleichen Mondes oder der trügerischen Dämmerung größer erscheinen, als sie in der That sind[3] – alle diese Dunkelthiere sind


  1. Das Blatt stammte gewiß aus vormärzlicher Zeit; – es konnte also unmöglich eine Anspielung auf Herrn Heinrich von Gagern enthalten!
  2. Reduvius Zerzogii nov. spec. Varietas: effilans. Die schleifende Varietät der Zerzog’schen Kothwanze. Charaktere der Larve: Pelz grau, dicht behaart; Spinnenfinger mit langen, gebogenen, schwärzlichblauen Klauen am Nagelgliede; auf dem Bauch und auf dem Thorax eine bis drei Reihen glänzender Silberknöpfe; graue Flügelscheiden mit grünen Randsäumen; Hinterfüße enorm, breit, abgeplattet; Augen grau; Haut gelblich, an der Stirne und den Wangen gefurcht, die Furchen stets mit Schmutz zugeschmiert. Stimme brüllend. Lebt in Kehricht und Düngerhaufen am Donau-Ufer und riecht nach ihren Aufenthaltsorten. Die Varietät, welche ich als „effilans“ bezeichne, schleift Messer, Scheeren etc. für fünf Gulden Diäten täglich und brüllt, wenn man ihren Namen ruft. – Das vollkommene Insekt ist noch unbekannt; soll sich aber vielleicht bei günstigem Wetter in Erfurt finden.
  3. Leider gebricht es uns an Raum, die mannichfachen zoologischen Entdeckungen, welche unser Aufenthalt in Frankfurt und die [134] Untersuchung des an neuen, oft höchst sonderbaren Arten reichen Gebietes der Paulskirche uns lieferte, hier näher auseinanderzusetzen. Wir werden demnächst in dem Archiv für Naturgeschichte von Wiegmann oder in dem Journale unsres zoologischen Freundes v. Siebold in Breslau, Gelegenheit finden, unsere Bereicherungen des nomenclator zoologicus der wissenschaftlichen Welt mitzutheilen. Wir führen nur einstweilen, zur Constatirung unserer Prioritätsrechte, einige der ausgezeichnetsten Arten mit kurzer Charakteristik an.
    Acantia brunsvicensis – Braunschweig’sche Reichswanze. Aus der Umgegend von Stadtoldendorf. Geruch ekelhaft, brechenerregend. Verschiebbarer fuchsigbrauner Flaum auf dem Kopfe. Rüssel dick. Beine verkrüppelt, hakenartig gekrümmt. Sehr bissig und hinterlistig. Hält sich besonders gerne in schmutziger Wäsche auf und greift vorzugsweise die Kaiserlinge an.
    Garrulus lyrifer – Leiertragende Schwatzkrähe. Strichvogel von Rügen. Brütet zuweilen am Rhein, besonders bei Bonn; sucht aber noch immer ein deutsches Vaterland. Klein, schwarz, mit weißer Glatze und zwei großen Kokarden, schwarzweiß und schwarz-roth-gold auf der dunkelgrünen Haube. Geschrei ähnlich den Staarmatzen, plappernd, unaufhörlich. Macht vor allen größeren Vögeln tiefe Bücklinge. Beine in Leierform.
    Silpha longibarbis – Langbärtiger Stinkkäfer. Groß, gefurcht, die Furchen mit Schmutz verklebt. An der Unterlippe ein langer, weißgelber Bart, in dem man stets Reste seines Mahles antrifft. Liebt besonders vaterländisches Sauerkraut mit Schweinespeck. Nägel lang, durchscheinend, blauschwarz durch Anhäufung von Schmutz unter der Kralle. Sehr feig, – gibt, wie alle Arten der Gattung Silpha, beim Ergreifen aus dem Hintern eine stinkende Flüssigkeit von sich. Ein ausgezeichnetes Exemplar dieser merkwürdigen Species verpestete auf diese Art am 17. September 1848 in Westendhall zu Frankfurt ein Zimmer in höchst intensiver Weise.
    Pulex gibbus – Höckeriger Sandfloh. Auf Brust und Rücken ein bedeutender Höcker. Sticht sehr empfindlich und peinigt besonders [135] die Piepmeyer’s, unter deren Nägel er sich einbohrt und Eiterbeulen verursacht. Aus der Lüneburger Haide – auch in Hannover einheimisch. Das Weibchen in Frankfurt sporadisch.
    Anophthalmus chamaeleonticus – Schillernde Blindechse. Steif, meist mit geschlossenen Augen. Wechselt sehr leicht die Farben, besonders im September. Aus Schleswig-Holstein; auch in Göttingen. Verbirgt sich gerne unter Pergament. Leicht zu zähmen. Frißt den Königen Weizen aus der Hand.
    Podicifer Gagerni – Gagern’s Hinterdeckträger. Eine wissenschaftlich begründete Art, die das Andenken der Linken sicher überdauern wird. Trägt auf dem Hinterdeck zwei Borstenkämme, welche den Augenbrauen des edlen Gagern gleichen, weßhalb diesem die Art in tiefster Verehrung dedicirt wurde. Unsres Wissens der einzige Käfer, welcher von Bandwürmern eigener Art (Taenia fundamentalis nov. sp. – Grundrechts-Bandwurm) geplagt wird, die ihm auf der Tribüne in ellenlangen Stücken abgehen. Aus Schleswig-Holstein. Ist den Schiffsmasten schädlich, indem er sie anbohrt, um Flaggen daran zu nageln.
    Biedermannia olens – Wohlriechende Biedermannia. Schillerkäfer von ungewisser Färbung, meist blau, zeitweise (vielleicht in der Paarung?) ins Röthliche streifend, was sich aber sehr schnell verliert; glatt; stark nach Patschulli riechend. Beißt nicht. Kriecht häufig in dem Leipziger literarisch-politischen Moder umher.
    Capreolus residans – Residenz-Reh. Im Sommer röthlich-demokratische Färbung, besonders am Rücken und Hintern, welche im Winter gegen eine graue Bedientenlivree gewechselt wird. Schneidezähne fehlen gänzlich. Füße plump. Ob Hörner, ist unentschieden, da bis jetzt nur ein weibisches Exemplar beobachtet wurde. Frißt gerne Kornblumen an den Ufern des Flüßchens Darm.
    Acridium telegraphicum – Telegraphisches Schnarrheupferd. Aus den Sumpfwiesen am Rheinufer, besonders bei Nierstein. Fliegt schlecht, schnarrt viel und laut, gestikulirt mit den langen Vordergliedern, wie mit Telegraphenflügeln. Liebt sein Volk, besonders sein Gesinde so sehr, daß er es prügelt – nach dem biblischen Ausspruche: [136] Wen der Herr lieb hat, den züchtiget er. Meist in Gesellschaft des Reduvius Zerzogii und des Acephalophorus superciliosus anzutreffen. Auch bei dieser Art, wie bei vielen andern Heuschrecken, finden sich gigantische Fadenwürmer, ächte Wasserkälber (Gordius) als Schmarotzer, die auf der Tribüne durchbrechen und die seltsamsten Windungen machen.
    Acetops constitutionalis – Konstitutioneller Essigblicker. Aus der Familie der Stockfische. Ausgezeichnet durch die enorme Lippenwucherung des weit geschlitzten Maules. Steif. Bewegungen zitternd. Jede Schuppe hat die Gestalt eines Paragraphenzeichens. Der Körper ist artikelweise abgetheilt. Jeder Zoll ein „alter Esel“.
    Acephalophorus superciliosus – Ohnekopfträger mit Augenbrauen. Kopf hohl, aufgetrieben, mit zwei ungeheuren Augenbrauen geziert. Trägt Abends mit großer Anstrengung und vielem Schnaufen dicke Kulturballen nach Osten hin. Stimme: feierlicher Baß, tief aus dem Herzen kommend. Haar struppig, grau gesprenkelt. Verwandt mit der folgenden Art, bei deren Schwärmen er gewöhnlich als Leithammel dient. Am Taunus, bei Hornau. Am Rhein, bei Monsheim. Sporadisch in Frankfurt, Hamburg, Bremen, Gotha, Erfurt und Schleswig-Holstein. Die Februargewitter des Jahres 1848 erzeugten bei dem typischen Exemplar die gewöhnlich nur bei Schafen vorkommende Drehkrankheit. Der Blasenwurm, welcher sie erzeugt, hat sich leider in der linken Hirnhälfte entwickelt und diese gänzlich zerstört, so daß das arme Thier sich stets mehr und mehr nach Rechts dreht. In feuchten, verschlossenen Ställen, wie in Erfurt, werden die Anfälle dieser tödtlichen Krankheit besonders intensiv.
    Ululator centralis – Central-Heulaffe. Sehr nachahmungssüchtig aus Dummheit. Kehlkopf vom Heulen blasig aufgetrieben. Viele Spielarten. Schwarzweiß, schwarzgelb, bläulichweiß, sind die häufigsten Farbennuancen. Geht nur in Haufen, nie vereinzelt. Bewegungen sehr langsam. Uebergang zu den Faulthieren. Das neue Genus Ululator ist ungemein verbreitet in zahlreichen Arten und Spielarten, deren Monographie wir demnächst geben werden.
    [137] Bassermannia stridulans – Fistulirender Rheinkrebs, Herrn Bassermann gewidmet. Profil acht römisch, Stirne hoch, sanft nach hinten geneigt. Beine lang, sehr agil beim Davonlaufen; Greifklauen scheerenförmig; Beutel-Anhänge am Hinterleibe, mit Goldkörnern (Eiern?) gefüllt. Ist im Gegensatze zu den übrigen Krebsen ursprünglich blaßroth mit blutigrothen Tropfen, die zeitweise in vormärzlichen Kammern hervortreten – wird aber beim Kochen mit dynastischem Steinsalze blaßgrün. Man benutzt diese Eigenschaft zum Amüsement hoher Gäste bei fürstlichen Tafeln, besonders am Berliner Hofe, indem man lebende Bassermanninen nebst andern Krebsen lebendig aufträgt und sie beim Nachtische mit siedendem Wasser übergießt, wo dann die Bassermanninen sogleich grün werden, während die Krebse sich röthen. Das Leben dieser eigenen Krebsart ist so zäh, daß ein einziges Exemplar dieser Art mehrere Male zu dieser Belustigung für hohe Herrschaften benutzt werden kann. Man ißt sie nicht, da man sie für giftig hält – sie sind aber nur zäh und fade. Das Wasser, worin sie ausgekocht waren, wird für antidemokratisch gehalten und in der Ober-Post-Amts- und Deutschen Zeitung die Maas für einen Heller verzapft. Die Bassermanninen geben fistulirende Töne von sich und leben verborgen in tiefen Uferhöhlen, da sie die Mörderhände fürchten, welche an ihre Thüre klopfen.
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Carl Vogt: Untersuchungen über Thierstaaten. Literarische Anstalt, Frankfurt am Main 1851, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Untersuchungen_%C3%BCber_Thierstaaten-Carl_Vogt-1851.djvu/153&oldid=- (Version vom 1.8.2018)