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Walther Kabel: Unfehlbar (Das Buch für Alle, Illustrierte Familienzeitung, Heft 27)

Unfehlbar.


Erzählung von W. Kabel.
(Nachdruck verboten.)

„Unfehlbar?“ Robert Moulin lachte spöttisch auf. „Mein lieber Junge, wenn du in den letzten Jahren so halbwegs regelmäßig deine Zeitung durchblättert hast – und ich nehme das an, da du den größten Teil des Tages in Kneipen und Kaffeehäusern zuzubringen pflegst –, so wirst du sicherlich häufig genug von Leuten gelesen haben, die bei einem solchen Geschäft, mochte es auch noch so schlau angelegt gewesen sein, nichts anderes eroberten als – einige Jahre Aufenthalt in einem kleinen, fest gemauerten Stübchen mit fest vergitterten Fenstern. An einen reichen Mann einen Drohbrief schreiben, der die liebenswürdige Ausforderung enthält, einige tausend Franken springen zu lassen, ist ja allerdings weiter kein Kunststück. Desto schwerer aber ist’s, eine Methode auszuklügeln, wie und wo man dann das Geld in Empfang nehmen soll, ohne dabei der Polizei in die Hände zu geraten. Und über diese Schwierigkeit sind schon genialere Köpfe wie du ins Zuchthaus gestolpert. Du kannst es mir daher nicht verargen, wenn ich zu deinem sogenannten „unfehlbaren“ Plane recht wenig Vertrauen habe und jede Teilnahme rundweg ausschlage. Ich möchte mich nämlich meiner Freiheit, wenn irgend möglich, noch einige Zeit erfreuen.“

„Aber du kennst meinen Plan ja noch gar nicht! Wie kannst du dich da nur gleich derart ablehnend verhalten!“ meinte Jacques Orville leicht gereizt. „Hast du denn wirklich allen Mut zu einem gewinnbringenden Geschäft verloren! Früher warst du jedenfalls kein so großer Angsthase!“

„Reg dich nicht auf, mein Lieber!“ meinte Moulin etwas gönnerhaft. „Die größere Erfahrung von uns beiden besitze doch zweifellos ich – das wirst du kaum bestreiten können. Und diese Erfahrung sagt mir: Es gibt keinen unfehlbaren Trick, um ein solches Geschäft vollkommen gefahrlos ausführen zu können. Und wenn du mir jetzt endlich dein angeblich erstklassiges Plänchen verraten willst, so werde ich dir nachher sofort auseinandersetzen, wo sich in deinem Geistesprodukt die schwachen Stellen befinden. Selbstverständlich verspreche ich dir, daß kein Sterbenswörtchen darüber über meine Lippen kommt. Und auf Robert Moulin kann man sich in dieser Beziehung verlassen.“

Niemand hätte in den beiden elegant gekleideten Herren, zwischen denen diese Unterhaltung an einem warmen Frühlingstage auf einer Bank des Luxemburggartens in Paris stattfand, Mitglieder jener gefährlichen Hochstaplerzunft vermutet, die besonders zahlreich gerade in der schönen Seinestadt mit ihrem internationalen Fremdenverkehr vertreten ist.

Jacques Orville, offenbar der Jüngere der beiden, begann seinem Gefährten in sehr klar durchdachter Weise sein Unternehmen zu entwickeln.

Zunächst drückte sich in Moulins hagerem Gesicht nur eine recht mittelmäßige Spannung aus. Aber je länger Orville sprach, desto interessierter wurde er. Und zum Schluß stieß er mit rückhaltloser Begeisterung hervor: „Sag nur, Junge, wo hast du diese Idee her? Alle Wetter, damit läßt sich allerdings was anfangen! Hier, schlag ein. Ich bin dein Mann!“

***

In der etwa fünf Kilometer von Paris entfernten Ortschaft Vélizy mieteten die Verbündeten schon am nächsten Tage ein kleines Häuschen, das der Besitzer an Sommergäste zu vermieten pflegte. Es entsprach durchaus ihren Wünschen. Es lag etwas abseits am Nordausgange des Dorfes und stieß mit dem dazu gehörigen Gärtchen an den Park von Meudon, der sich zwischen Versailles und Paris mit seinen wohlgepflegten Anlagen hinzieht. Der Preis war mäßig, und so mieteten sie das Grundstück gleich auf ein halbes Jahr. Dem Eigentümer gegenüber gaben sie sich als Maler aus, und niemand zog dies irgendwie in Zweifel, zumal in ihrem Tun und Lassen auch nicht das geringste Auffällige zu bemerken war.

Nachdem sie sich in ihrer neuen Behausung eingerichtet hatten, verreiste Robert Moulin für zwei Tage. Die Zeit seiner Abwesenheit benützte Jaques Orville dazu, auf dem Boden des Häuschens einen Taubenschlag aus Brettern und Latten zusammenzuzimmern.

Als er eben auf dem Hofe mit einer Handsäge ein Brett kürzte, erschien der dicke Herr Loisin, der Besitzer des Häuschens, um einmal nachzuschauen wie den beiden Künstlern ihr Sommerheim zusage.

„Danke sehr, Herr Loisin – prächtig gefällt es uns hier, ganz prächtig,“ meinte Orville liebenswürdig.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Unfehlbar (Das Buch für Alle, Illustrierte Familienzeitung, Heft 27). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1911, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Unfehlbar.pdf/2&oldid=- (Version vom 6.11.2018)