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Bald sieht Herr Ulrich drüben der Städte Schaaren stehn,
Von Reutlingen, von Augsburg, von Ulm die Banner wehn,
Da brennt ihn seine Narbe, da gährt der alte Groll:

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„Ich weiß, ihr Uebermüth’gen, wovon der Kamm euch schwoll.“


Er sprengt zu seinem Vater: „heut zahl’ ich alte Schuld,
Will’s Gott, erwerb’ ich wieder die väterliche Huld!
Nicht darf ich mit dir speisen auf einem Tuch, du Held!
Doch darf ich mit dir schlagen auf einem blut’gen Feld.“

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Sie steigen von den Gaulen, die Herrn vom Löwenbund,

Sie stürzen auf die Feinde, thun sich als Löwen kund.
Hei! wie der Löwe Ulrich so grimmig tobt und würgt!
Er will die Schuld bezahlen, er hat sein Wort verbürgt.

Wen trägt man aus dem Kampfe, dort auf den Eichenstumpf?

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„Gott sey mir Sünder gnädig!“ – er stöhnt’s, er röchelt’s dumpf.

O königliche Eiche, dich hat der Blitz zerspällt!
O Ulrich, tapfrer Ritter, dich hat das Schwerdt gefällt!

Da ruft der alte Recke, den nichts erschüttern kann:
„Erschreckt nicht! der gefallen, ist wie ein andrer Mann.

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Schlagt drein! die Feinde fliehen!“ er ruft’s mit Donnerlaut;

Wie rauscht sein Bart im Winde! hei! wie der Eber haut!

Die Städter han vernommen das seltsam list’ge Wort.
„Wer flieht?“ so fragen Alle, schon wankt es hier und dort.
Das Wort hat sie ergriffen gleich einem Zauberlied,

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Der Graf und seine Ritter durchbrechen Glied auf Glied.
Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0323.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)