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Meer, unsichres, vielbewegtes,
Ohne Grund und ohne Schranken!
Wohl auf deiner regen Wüste
Mag die irre Sehnsucht schwanken.

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Fern von Tripolis verschlagen,

Irrt die Barke mit dem Sänger;
Äußrem Sturm und innrem Drängen
Widersteht Rudell nicht länger.

Schwer erkranket liegt er nieder,

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Aber südwärts schaut er immer,

Bis sich hebt am letzten Rand
Ein Pallast im Morgenschimmer.

Und der Himmel hat Erbarmen
Mit des kranken Sängers Flehen,

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In den Port von Tripolis

Fliegt das Schiff mit günst’gem Wehen.

Kaum vernimmt die schöne Gräfin,
Daß so edler Gast gekommen,
Der allein um ihretwillen

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Über’s weite Meer geschwommen:


Alsobald mit ihren Frauen
Steigt sie nieder, unerbeten,
Als Rudello, schwanken Ganges,
Eben das Gestad betreten.

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Schon will sie die Hand ihm reichen,

Doch ihm dünkt, der Boden schwinde.
In des Führers Arme sinkt er,
Haucht sein Leben in die Winde.

Ihren Sänger ehrt die Herrin

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Durch ein prächtiges Begängniß,

Und ein Grabmal von Porphyr
Lehrt sein trauriges Verhängniß.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0241.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)