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Einsiedler.

Das Jahr nicht kennend, das der Welt ihn gab,
Hat er schon längst auf sechzig sich geschätzt,
Doch neigt das Jahr sich wieder, denkt er stets:
Ich hab’ ein Jährlein leicht zuviel gezählt;
So tritt er über sechzig nie hinaus.

Eckart.

Es liegt ja doch am Ende wenig dran.

Einsiedler.

Kein Wunder, daß die Zeit ihm stille stand
Und daß er meinet, Alles steh’ im Alten;
Denn kein Ereigniß zeichnet’ ihm die Tage,
Seitdem der sel’ge Herzog hier gejagt,
Noch hört er Kunde von dem Lauf der Welt.
Den Wechsel selbst der Jahreszeiten läßt
Der Tannenwälder ewig Dunkelgrün,
Der Felsen ewig frühlingslose Öde
In unsrer Wildniß weniger bemerken.

Eckart.

Ganz recht! ich hab’ es niemals so bedacht.

Einsiedler.

Ihr Theuersten! des Menschen Leben ist
Ein kurzes Blühen und ein langes Welken.
Durch diesen einfach langen Wechsel zieht
Der Jahreszeiten schneller, bunter Tausch,
Und schafft dem Menschen, der, dazwischen stehend,
Nicht folgen kann, so manigfaches Weh.
Denn wann der Herbst das Feld entblümt, entlaubt,
Da trübt sich selbst des frischen Jünglings Sinn,
Er muß das Alter kosten vor der Zeit.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0134.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)