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von Glück und Schönheit bilden sich in ihr und versichern sie der Liebe des geliebten Wesens. Das sind Phantasiegebilde, die ein Verstandesmensch nie verstehen wird.“

Fulvia (gen Himmel blickend): „Gewiß, für Sie und für mich ist die Liebe, auch die unglückliche, das höchste Glück, vorausgesetzt daß unsere Verehrung für den Geliebten keine Grenzen kennt.“

Fulvia war dreiundzwanzig Jahre alt und die berühmteste Schönheit von ***. Ihre Götteraugen waren, als sie so sprach, gegen den schönen Mittelnachtshimmel des Lago Maggiore gerichtet; die Gestirne schienen ihr zu antworten. Ich sah zur Erde und hatte keine philosophischen Gründe mehr, um sie zu bekämpfen. Sie fuhr fort:

„Und alles das, was man auf Erden Glück nennt, wiegt ihre Leiden nicht auf. Ich glaube, allein die Verachtung kann von dieser Leidenschaft heilen. Die Verachtung darf indessen nicht allzu stark sein, sonst wird sie zur Qual, nicht anders zum Beispiel, wie ihr Männer sie empfindet, wenn ihr seht, daß die Angebetete einen rohen und prosaischen Mann liebt.“


69.

Prosaisch ist ein neues Wort, das ich früher lächerlich fand, denn nichts ist kälter, als die französische Poesie. Wenn es in der Literatur Frankreichs in den letzten fünfzig Jahren etwas Wärme gibt, so ist es sicherlich in der Prosa. Aber die Komtesse *** bediente sich des Wortes prosaisch und nun liebe ich es.

Eine Begriffserklärung finde ich im „Don Quichotte“ in dem schroffen Gegensatz des Ritters zum Knappen.

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_287.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)