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letztenmal: geliebt. Zum letztenmal: Goethe gelesen. Vielleicht lange Jahre vor dem Tode. Und man weiß es nicht.“

„Aber es ist gut, daß man es nicht weiß“, sagte er; „wie?“

„Vielleicht“, sagte ich. „Man sollte aber bei jeder Verrichtung denken: Tu sie gut. Gib dich ihr ganz hin. Vielleicht ist es das letztemal.“

„Aber er ist doch ein gottverdammter Pedant …!“ fuhr er auf.

„Nennen Sie nicht seinen Namen!“ sagte ich. „Er ist ein göttlicher Pedant.“


Das mittlere Feld war gesperrt, weil ein Meteorregen niedergehen sollte – obgleich uns der gar nichts antun konnte, hatte der alte Herr mit vertatterten Händen die Sperrung angeordnet. Wir krochen vier Zeitlosigkeiten hindurch am Rande des Feldes entlang, dann setzten wir uns, um den Regen mitanzusehen, wenn er zu regnen anhübe. Mir paßte die Absperrung nicht, und ich fluchte leise vor mich hin.

„Haben Sie einmal einen Märtyrer gesehen?“ sagte er. Mir blieb ein ellenlanger und herrlicher Fluch, den mich einst ein Matrose in Dänemark gelehrt hatte, im Halse stecken. „Einen Märtyrer?“ sagte ich. „Einen, der seine unbefriedigte Eitelkeit hinter eine Sache steckt und nun plötzlich dasteht, lichtumflossen – ja, ich kenne das.“ „Wenn Sie das kennen,“ sagte er, „dann wissen Sie auch, was man mit so einem macht?“ „Sie … man gibt ihm wenig zu essen, die Kinder auf der Straße und die Professoren rufen hinter ihm her, er sei unfruchtbar und hätte keinen Kontakt mit der Wirklichkeit.“ „Das auch“, sagte er. „Aber ich habe einmal etwas gesehen, lange nach meinem Tode, etwas viel Merkwürdigeres.

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Kurt Tucholsky: Mit 5 PS. Ernst Rowohlt, Berlin 1928, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tucholsky_Mit_5_PS_295.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)