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Das Recht des Fremden

Der Fremde in Europa ist rechtlos.

Die Staaten, verschuldet, ausgehalten, geduldet von der Hochfinanz und vom heimischen Unternehmertum, in ihrer Existenz nur möglich durch Zollbarrieren; die Staaten, deren Grenzen keine Rassen umschließen, ja, nicht einmal mehr feste Wirtschaftsgebiete – die Staaten spielen gern: mittelalterliche Burg, Vaterland, Heimat. Und weil die Autorität zu Hause nicht weit reicht, weil der Bauer keine Steuern bezahlt und der Grubenbesitzer nicht pariert, sondern parieren läßt, deshalb regiert sichs so schön auf wehrlosen Individuen herum, auf den einzigen, die nicht mit einem Fußtritt antworten, wenn die „höchste Gewalt“ regierend eingreift. Hier fühlt sich der Staat. Das arme Luder will auch einmal wissen, wie das tut: etwas durchsetzen. Und da hats der Fremde nicht leicht

Vergnügungsreisende werden im allgemeinen nur schikaniert, aber nicht ernsthaft bedroht, besonders nicht, wenn sie den besser gekleideten Ständen angehören. Abgesehen von den Flapsigkeiten der Polizeistuben, von den Rüpeleien der Zollbeamten läßt man sie von dieser Seite her ungeschoren, das übrige besorgen später die Hoteliers. Nur Amerika vergreift sich auch an harmlosen Besuchern, die nichts wollen als Geld ausgeben: die ganze Dummdreistigkeit geschäftetreibender Kleinbürger liegt in seinem System, zu moralischer Überwachung pappene Gesetzestafeln aufzurichten, hinter denen jemand geschobenen Whisky trinkt.

Bei Auswanderern liegt die Sache anders.

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Kurt Tucholsky: Mit 5 PS. Berlin: Ernst Rowohlt, 1928, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tucholsky_Mit_5_PS_123.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)