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veröffentlichten Hefte) zu heben, sind kaum der Mühe wert, ihre Anwendung für wissenschaftliche Arbeit zu riskieren. Wissenschaftlichen Anforderungen wollte eine breit angelegte, jedoch bald aufgegebene Sammlung des Studentenvereines Slavia in den siebziger Jahren Rechnung tragen. Es wurden einige Bändchen von höchst mannigfaltigem Material herausgegeben und die den einzelnen Stücken beigefügten Namen der Sammler und Erzähler zeigten den besten Willen der Redaktion, die gestellte Aufgabe ernst zu nehmen. Wie es jedoch regelmässig bei solchen Amateur-Unternehmungen – manchmal in noch viel ärgerem Masse (z. B. in der Veckenstedtschen Sammlung) – der Fall ist, ist man auf den guten Willen von Unbekannten angewiesen, welche die erforderliche peinliche Sorgfalt und Einübung nichts weniger als ernst nehmen, so dass man dann des öfteren Auszüge aus älterem Material, manchmal sogar Fälschungen unter dem echten Material findet. –

Aus der neuesten Zeit sind es mustergültig wiedergegebene Stücke in der von Prof. Zibrt redigierten Zeitschrift »Český Lid«, welche einen Einblick in die wirkliche Volkstradition in Böhmen gewähren. Leider sind es bis jetzt nur vereinzelt dastehende Versuche und es wird wohl noch Jahre dauern, bevor man verlässliches, systematisch in ganz Böhmen gesammeltes Material der prosaischen Volksdichtung für die vergleichende literarische Forschung wird benützen können[1].

In Mähren haben sich die Verhältnisse viel günstiger gestaltet. Aus Ostmähren, aus der mährischen Walachei, besitzen wir eine umfangreiche, bereits in den fünfziger Jahren begonnene Märchensammlung. Obwohl der Sammler, Kanonikus Method Kulda, selbst kein Hehl daraus macht, dass er vor allem eine gediegene, aus dem Volke für das Volk gesammelte, gesichtete und gereinigte geistige Nahrung bieten will, so war er doch im ganzen bemüht, die Erzählung seiner Gewährsmänner möglichst treu wiederzugeben. Mann muss also damit rechnen, dass alle »unmoralischen« Geschichten einfach unberücksichtigt geblieben sind – dass selbst in den beibehaltenen manches derbe Wort, manche recht volkstümliche, jedoch zu kräftige Wendung durch mildere


  1. Manchmal wird auch eine ältere, von Waldau in den »Květy« 1862 veröffentlichte Sammlung von Christus- und Sankt Peterslegenden zitiert. Obwohl diese dem Inhalte nach recht interessant ist, weiss ich über ihren wirklichen Ursprung nichts Bestimmtes zu sagen.
Empfohlene Zitierweise:
Václav Tille: Das čechoslavische Märchen. Crosman & Svoboda, Prag 1907, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tille_Das_%C4%8Dechoslavische_M%C3%A4rchen.djvu/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)