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hastig herabzog, um ihr blasses, gepudertes Antlitz auf diese Weise in eine verschwommene, durch nichts irgendwie auffallende Alltagslarve zu verwandeln.

Ulla Kresten glaubte einige Menschenkenntnis zu besitzen. Dieser Mann hatte Hunger; dieser Mann hatte einst bessere Tage gesehen.

Vielleicht, dachte sie, vielleicht wäre gerade dieser Eine, den ihr der Zufall hier in den Weg geführt hatte, für sie der lang Gesuchte! –

Nochmals ein prüfender Blick hinter dem kostbaren Schleier hervor.

Ja, die Hände dieses Mannes, die da auf der Krücke des derben Spazierstocks übereinander ruhten, als ob der Körper diese Stütze nötig habe, waren tadellos gepflegt, obwohl die Knopflackstiefel und der kurze Sportpaletot nicht mehr ganz einwandfrei schienen. Den Ausschlag für Ulla gaben das intelligente Gesicht und dieser[1] hungrige, starre Blick, dieser zu einer schmalen Linie zusammengepreßte Mund und der Seufzer, der sich jetzt zwischen den Lippen hervorstahl und sofort wieder wie in jähem Erschrecken unterdrückt wurde.

Hinter Ulla und dem Manne mit dem fahlen, fleischlosen Antlitz flutete auf dem Bürgersteig der abendliche Verkehr der Weltstadt gleichgültig und gleichmäßig vorüber. Niemand kümmerte sich um die beiden, die dort im grellen Lichte des Schaufensters standen und von so verschiedenartigen Gedanken bewegt wurden.

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Walther Kabel: Thomas Bruck, der Sträfling. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1923, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Thomas_Bruck,_der_Str%C3%A4fling.pdf/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)