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 Also: vorigen Montag ist unter uns eine Akademie geboren. Stoß Dich nicht am Namen; er wird noch umgeändert. Herr Pfarrer will bloß Präsident sein, und die Diakonissen und Schülerinnen sollen da an den Bänken das Gehen lernen. Worin aber besteht dieses Gehen? Im Vortragen, Wiedererzählen von Gesehenem, Gelesenem, Gehörtem. Da wurden nun gleich in der ersten Stunde Comitees ernannt für verschiedene Geschäfte, eine beauftragt, den Bericht über die Mission in Paris (unter den Deutschen) zu lesen und das Wichtigste zu referieren, eine andere, Elisabeth Fry zu lesen und die gehörige Kritik darüber zu geben; andere sollen bis zum nächstenmal die Armenhäuser hiesiger Pfarrei visitiert, eine andere das hiesige Pfründhaus inspiziert und alle Mängel bemerkt haben... und über das alles nächsten Montag von 3–5 (das ist die festgesetzte Zeit, denke daran) Mitteilungen machen. Herr Pfarrer will nur darauf merken, daß niemand „purzelt“. Diese neue Idee und ihre Verwirklichung ist gewiß etwas sehr Praktisches und Lehrreiches.

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 Heute ist Herr Pfarrer nach München gereist zu der Tucher’schen Familie. Wie werden die kirchlichen Angelegenheiten hinausgehen? Die Wahrheit nur siege, und ein jeder sei seiner Sache gewiß. Für viele unter uns wird dies eine Zeit der Entscheidung sein, denn daß viele hier sind, die in die Richtung nicht eingegangen bis jetzt, versteht sich. Laß uns beten um Erleuchtung, um Einfalt und Lauterkeit. So viel ist gewiß, daß Abendmahlsmengerei, wie sie hin und her im Lande eingerissen ist, Sünde ist; auch ist so viel gewiß, daß das Konsistorium Unrecht hat; wenn es dem Herrn Pfarrer die Kinderbeichte und -absolution verbietet, nicht weil das Schriftwort dagegen spricht, denn ein solcher Grund ist unmöglich aufzuweisen, sondern weils nicht gewöhnlich ist. Die lutherische Kirche muß vorwärts gehen – und wenn nun einer da ist, mit besonderen Gaben und Kräften dazu ausgerüstet, sie einen Schritt vorwärts zu führen, soll man dann sein Tun hemmen, wenn’s doch offenbar mit Gottes Wort stimmt? Wenn man freilich nur immer in der Reformationszeit seine Ideale sucht für die Kirche, dann lassen sich solche Grundsätze erklären. „Meine Ideale aber liegen nicht im 16. Jahrhundert, sondern am Anfang der Kirche und am

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Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/96&oldid=- (Version vom 10.11.2016)