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dem ewigen Ziel entgegenzugehen. O liebste Mutter, was wird das sein, wenn wir nach wohlbestandenem Kampf und Streit uns der ewigen Ruhe bei unserem lieben Herrn Jesus erfreuen dürfen!

 Ich wiederhole Ihnen an diesem Tag meinen innigen Dank für alles, was Sie von meiner Jugend an mir getan haben, und bitte Sie um Verzeihung für alle die Sünden, durch die ich Ihnen Kummer und Sorge bereitet habe. Es sind mir dieselben heute wieder recht schwer auf mein Gewissen gefallen, als ich mich auf die Beichte bereitete...

 Der lieben Marie herzlichen Dank für ihren Brief. Sie hat mir große Freude damit gemacht. Leider aber kann ich dieses Mal nicht antworten. Ich habe recht viel zu tun und werde von nächster Woche an noch mehr zu tun haben, weil ich auch wöchentlich ein paar Stunden in die Blödenanstalt gehen darf. Ich bin darüber sehr erfreut, denn ich werde da viel lernen können über die Weise, Blöde zu unterrichten.

 Heute ist mir großes Heil widerfahren. Darüber bin ich voll Lobes und Dankes. Ich habe wieder Vergebung aller meiner Sünden empfangen in der Privatbeichte. Dazu hat mir mein lieber Beichtvater noch viel liebliche Worte gesagt und Rat gegeben. Unter anderem sagte er: Das sei ferne von mir, daß ich als ein untreuer Beichtvater sagte: „Es ist nicht so arg, wie du sagst, du täuschst dich, so schlimm sieht’s in deinem Herzen nicht aus, – sondern ich sage im Gegenteil: Es wird wahrscheinlich so sein, wie du sagst; ja noch mehr, es wird bei dir sein, wie bei mir und bei anderen, daß es noch weit schlimmer steht als du sagst, daß deine Sünden noch viel größer sind, als du sagen kannst und weißt. Aber ich bin dennoch getrost, und ich will dir sagen, warum. Derjenige, der dir deine Sünden zeigt, beweist dir eben damit, daß Er dein Freund ist, daß Er dich je und je geliebt und daß Er dich zu sich gezogen aus lauter Güte; es kann niemand in die Höhe geführt werden, der nicht zuvor hinabgeführt sei in die Tiefe der Selbsterkenntnis. Wenn dich der Herr schwarz macht wie im Hohen Liede (Kap. 1), so neigt Er sich dennoch als Freund zu dir. Es gibt schier kein sichereres Pfand von der Liebe des Herrn, als daß er die Seinen ganz klein und arm macht, alle eigene Gerechtigkeit nimmt und nur das Beste läßt, nämlich

Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/55&oldid=- (Version vom 24.10.2016)