Seite:Therese Stählin - Meine Seele erhebet den Herrn.pdf/51

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

hier sind, beide krank. Eine davon heißt Fräulein von Grünwald, zu der ich seit einiger Zeit fast täglich komme, um ihr die Stunden, Predigten etc. zu erzählen. Sie nennt mich deshalb ihren kleinen Pastor. Das ist mir immer eine süße Freude, zu ihr zu gehen, denn sie ist eine geförderte Christin, seit langen Jahren in der Leidensschule Jesu; denn denken Sie, sie kann, auch wenn sie nicht wie gegenwärtig zu Bette liegen muß, nicht gehen außer vielleicht ein paar Schritte mühsam mit Krücken. ...Ich habe jetzt auch die Korrespondenz mit einigen auswärtigen Diakonissen übernommen. ...Der treue Heiland sei stets mit Ihnen und mit

Ihrer gehorsamen Tochter Therese Stählin.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 6. Oktober 1856

 Liebe, gute Mutter, der treue Heiland schenke Ihnen Seine Gnade und Seinen Frieden! ...Es ist heute Sonntagabend, liebste Mutter; es ist wieder ein rechter Gnadentag vom Herrn gewesen. Da wir Erntefest feierten, durften wir zwei Predigten hören. Der Text von der ersten war: „Von Ihm und durch Ihn und zu Ihm sind alle Dinge.“ Herr Pfarrer machte uns namentlich das Wörtchen „zu Ihm“ recht eindringlich: wir selbst sollen uns dem Herrn darbringen, zu ihm bringen, uns opfern; dann dürfen wir auch unsere Gaben ihm darbringen, die Ernte wieder zu ihm bringen, von dem sie ausgeht, d. h., mit dem irdischen Gut Schätze im Himmel sammeln etc. Während gerade die Predigt am gewaltigsten war, wurde sie unterbrochen durch das Einstürzen eines Teiles der Decke; es hat nichts geschadet, als daß uns der Schluß der Predigt verdorben war. Herr Pfarrer, der von dem fast allgemeinen Schrecken unberührt blieb, sagte dann mit großer Ruhe: „Das war vielleicht eine gnädige Absicht Gottes, eure Schläfer aufzuwecken zum Gebet.“

 Mir ist diesen Nachmittag und Abend so wohl, ich fühle einen tiefen innerlichen Frieden. Ich weiß wohl, daß auf diese Gefühle nicht so großer Wert zu legen ist, da sie ja vorübergehend sind, sonderlich bei mir Sanguinikus; aber dennoch

Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/51&oldid=- (Version vom 17.10.2016)