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hat!“ Am zweiten Feiertag hörten wir wieder eine sehr strenge Predigt über den Spruch: „Und das Wort ward Fleisch.“ Am Abend fand unsere Bescherung statt...

 Heute nach der Kirche erblickte ich auf einmal Leonhard, der mit mehreren Studenten hier war, um Herrn Pfarrer predigen zu hören. Das war eine verunglückte Partie. Ich konnte Leonhard nur im Flug sprechen, denn er ging schon um ein Uhr wieder fort, und die Hausordnung ist in Beziehung auf Besuche außerordentlich streng...

Ich bin Deine treue Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 1. Januar 1856

 Inniggeliebte Mutter, nun sind die Feiertage vorübergegangen, und ich habe Ihnen noch nicht geschrieben. Es ist ganz unglaublich, wie unnütz man die Zeit verträgt, wenn die gewöhnlichen Lehrstunden aufhören. Nun, mit dem neuen Jahr soll auch alles anders werden... Mein Herz ist voll Lobes und Dankes, wenn ich die gnädige Führung des barmherzigen Gottes überlege, die ich in diesem Jahre erfahren durfte. Ja, der Herr hat große Dinge an uns getan; des sind wir fröhlich! Er hat uns bald durch Lieben, bald durch Leiden in diesem Jahre zu sich ziehen wollen, hat uns durch den Verlust des teuren Vaters gelehrt, uns allein an den himmlischen Vater zu halten, und hat uns in jenen Trauertagen reichen Trost geschenkt. Ihm wollen wir uns auch für das neue Jahr befehlen mit allem, was wir sind und haben. Seine Gnade, die wir bisher in so reichem Maße erfahren durften, wird uns auch ferner nicht verlassen. – O liebste Mutter, es will mich manchmal der Gedanke recht traurig machen, daß ich, da ich nicht bei Ihnen sein kann, so wenig Gelegenheit habe, Ihnen meine Dankbarkeit zu beweisen. Doch Gott wird mein Gebet, das ich täglich für Sie vor Seinen Thron bringe, gewiß erhören. –

 Am Silvesterabend ging ich mit meiner lieben Elise Pächtner in unsern traulichen Betsaal, um uns alle Wohltaten Gottes zu erzählen, die wir in diesem Jahre erfahren haben. Da redete ich auch mit Loben und Danken von der großen

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Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/35&oldid=- (Version vom 17.10.2016)